Codename Sparta 03 - Das Mars-Labyrinth
wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder Khalid zu.
»Alles, was ich von Ihnen brauche, Dr. Sayeed, ist der Beweis, daß Sie weder die beiden Männer umgebracht noch die Tafel gestohlen haben. Danach kann ich mein Augenmerk wieder anderen Dingen widmen.«
»Beweis?« Diesmal lächelte er nicht. »Es haben sich ganze Schulen von Philosophen und Mathematikern um die Auffassung gebildet, daß es so etwas wie Beweise nicht gibt.«
»Trotzdem gibt es so etwas wie Wahrheit.«
»Dieser Meinung bin ich auch, im Gegensatz zu Pontius Pilatus. Und an das Recht glaube ich ohne jede Einschränkung. Ich nehme an, Sie haben meine Aussagen bereits gelesen, Inspektor. Und meine Lebensgeschichte.«
Sie nickte. »Sie haben sich mit Dr. Morland hier im Hotel gestritten, bevor er umgebracht wurde. Sie gingen kurz nach ihm und wurden erst am nächsten Morgen wieder gesehen.«
»Das ist richtig. Ich kann nicht beweisen, daß ich in mein Appartement gegangen bin und mir ein Infovideo über das Sahara-Sanierungsprojekt angesehen, anschließend meine Abendgebete verrichtet habe und dann ins Bett gegangen bin. Aber das ist die Wahrheit.«
»Sie leben allein, Dr. Sayeed?«
»Ja.«
»Aber Sie sind verheiratet.«
»Meine Frau lebt bei ihren Eltern in Paris, zusammen mit zahllosen Tanten, Onkeln, Geschwistern und Nichten. Aber das wissen Sie vermutlich bereits.« Ein seltsamer Ausdruck, halb nachdenklich, halb verschmitzt, überzog sein Gesicht, war aber schnell wieder verschwunden. »Aber wissen Sie auch, daß ich meine Frau nie kennengelernt habe? Sie ist vierzehn Jahre alt.«
Sparta wußte es. Sie wußte auch, wie arm Khalids Familie gewesen war. Eine Gesellschaft aus reichen Wohltätern hatte ihm mit einem Stipendium die Teilnahme am Projekt SPARTA ermöglicht. Durch seine brillanten Leistungen bei SPARTA hatte er die Aufmerksamkeit seiner mächtigen Verwandten auf sich gezogen. Seine folgende Heirat – zu der er mit keinem Wort gefragt wurde – war eine große Ehre und galt als Zeichen dafür, daß Khalid irgendwann von seinem Großonkel, dem Khan, zum Imam der Sayeeds ernannt werden würde.
Sparta sagte: »Ihr Appartement befindet sich in der Nähe des Shuttleports?«
»Ja, am Kirov-Platz, im MTP-Komplex.«
»Das Gebäude ist nicht direkt an das öffentliche Druckröhrensystem angeschlossen. Tragen Sie Ihren Druckanzug immer bei sich, wenn Sie nicht zu Hause sind?« Mit einem Kopfnicken deutete sie auf die braune Leinentasche auf dem Stuhl neben ihm.
»Das machen genaugenommen alle Marsianer so. Wo ist übrigens Ihrer?«
»In meinem Zimmer.«
»Ich würde Ihnen dringend raten, unseren Brauch schnell zu übernehmen«, sagte er. »All das hier« – mit einer Handbewegung umfaßte er den Pool, die Bäume, das Glasdach – »ist reine Illusion; es kann jeden Augenblick verschwinden. Die Wirklichkeit besteht aus eiskaltem, hauchdünnem Kohlendioxyd. Angenommen, ein Felsbrocken löst sich aus dem Sandsteinbogen über unseren Köpfen …«
»Ich werde Ihren Rat beherzigen.« Sie meinte es ernst. Allein beim Gedanken daran bedauerte sie ihre Nachlässigkeit. Aber das brauchte er nicht zu wissen. »Ihr Gebäude … es besteht aus drei Flügeln mit gesonderten Eingängen. Ihrer befindet sich im ersten Stock, man erreicht ihn über eine Außentreppe.«
»Sie haben heute morgen wirklich Ihre Hausaufgaben gemacht. Wissen Sie, warum ich mir dieses Appartement ausgesucht habe?«
»Wegen der Aussicht, nehme ich an.«
»Das hat in der Tat eine wesentliche Rolle gespielt.« Er lehnte sich zurück und nippte an seinem Tee. »Als die ersten Angehörigen des Islam ins All aufbrachen, Inspektor, stellte sich das Problem, die Quibla zu finden, die Gebetsrichtung, die, wie Sie wissen, auf die Kaaba in der großen Moschee von Mekka ausgerichtet ist. Die Gebetszeiten können je nach Standort bestimmt werden, aber die Lage von Mekka – die natürlich bei ausreichender Entfernung mit der der Erde zusammenfällt – verändert sich laufend. Aus diesem Grund tragen wir Orthodoxe dieses Gerät bei uns.« Er setzte sein Teeglas ab und holte einen flachen, länglichen Gegenstand von der Größe einer Taschenuhr aus der Tasche, nur viel flacher. »Dies hier ist eine Kopie. Sie hat ungefähr ein Viertel der Originalgröße des recht ungewöhnlichen Astrolabiums des Astronomen Ibn al Sarraj aus Aleppo aus dem 14. Jahrhundert.«
Das Astrolabium bestand aus mehreren übereinanderliegenden, gravierten Bronzescheiben mit arabischer Inschrift. Die oberste
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