Codename: Sparta - 6 - Das Weltenschiff
den gleichen Wal, den man später ertrunken in dem Telegrafenkabel fand?« murmelte ich, ein wenig zu leise.
»Was?« sagte Joe. Ich hatte ihn von seiner Beweisführung abgebracht.
»Was ist die Quelle?« fragte ich schlau.
»Hm … Sie finden die Geschichte … äh, der Zwischenfall wird in den Illustrated London News vom 20. November 1875 geschildert …«
»Noch eine einwandfreie Quelle«, sagte ich, vielleicht ein wenig zu trocken.
»Und dann gibt es natürlich noch das Kapitel in Moby Dick.«
»Welches Kapitel?«
»Na ja, dasjenige, das treffenderweise mit ›Krake‹ überschrieben ist. Wir wissen, daß Melville ein sehr gewissenhafter Beobachter war, aber hier läßt er wirklich die Zügel schießen. Er beschreibt einen ruhigen Tag, als ›eine große weiße Masse‹ sich aus dem Meer erhebt ›wie eine Lawine, die gerade von einem Hang gleitet‹. Und das geschah hier, mitten im Indischen Ozean, vielleicht fünfzehnhundert Seemeilen südlich von der Stelle, wo es zum Pearl- Zwischenfall kam. Bitte beachten Sie, daß die Wetterumstände identisch waren.«
»Ist mir schon aufgefallen.« An dieser Stelle warf ich einen raschen Blick zu Sergei hinüber, um zu sehen, wie Karpukhins Spitzel die Sache aufnahm. Der arme Kerl hatte sich jedoch zu intensiv mit seinem Wodka beschäftigt – wer konnte auch schon mit einem Journalisten von der alten Schule wie Joe mithalten? – und schien im Sitzen eingeschlafen zu sein.
»Was die Besatzung der Pequod auf dem Wasser treiben sah«, fuhr Joe fort, als wäre er selbst mit einem Videorekorder in der Hand dabeigewesen, »war eine riesige, schwabbelige Masse von mehreren Furlongs Durchmesser und Länge, beige schimmernd, mit unzähligen langen Armen, die alle strahlenförmig von der Mitte ausgingen und sich wie ein Nest voller Anakondas umeinanderschlängelten.«
»Einen Augenblick mal«, sagte Sergei, plötzlich wieder wach. Er machte das Gesicht eines Schlafwandlers. Joe und ich betrachteten ihn alarmiert. »Was ist ein Furlong?« fragte er mit übertrieben klarer Stimme.
Joe und ich sahen uns an. »Der achte Teil einer englischen Seemeile, um genau zu sein«, erklärte Joe vorsichtig.
»Ach so«, sagte Sergei, »in diesem Fall …« und einen Augenblick später schlossen sich seine Augen wieder, und sein Kopf sackte weg. Joe blickte mich peinlich berührt an. »Ich bin sicher, Melville hat das nicht wörtlich gemeint. Ein Wesen von über zweihundert Metern Länge und Durchmesser? Aber denken Sie daran, er war ein Mann, der jeden Tag mit Pottwalen zu tun hatte, und der nach einem Größenmaß suchte, um etwas viel Größeres zu beschreiben. Also wechselte er von Faden zu Furlongs. So lautet zumindest meine Theorie.«
Ich schob die restlichen ungenießbaren Teile meines Currys von mir und betrachtete Joe mit seltsam gemischten Gefühlen. »Ich habe eine Menge zu tun – ich fürchte, ich brauche jetzt meinen Schönheitsschlaf.« Ich deutete mit einem Nicken auf Sergei, dessen genüßliches Schnarchen mit jedem Augenblick lauter wurde. »Wenn Sie sich einen Eindruck vom hiesigen Nachtleben verschaffen wollen, alter Freund, dann los. Das ist vielleicht Ihre letzte Chance, ihm zu entwischen.«
Ich stand auf und verabschiedete mich. Joe blieb sitzen und betrachtete mich. »Falls Sie glauben, Sie hätten mir angst machen und mich aus dieser Sache vergraulen können«, sagte ich vorsichtig, »dann haben sie sich verdammt noch mal getäuscht. Aber eins verspreche ich Ihnen. Sobald ich einen Riesentintenfisch sehe, knipse ich ihm einen Tentakel ab und bringe ihn als Andenken mit.«
26
Fortsetzung des Berichts von Klaus Müller:
An jenem Morgen hatte ich keine Zeit für die Videonachrichten, obwohl ich mir aus den Gesprächen meiner Mannschaft zusammenreimte, daß sie voll von Neuigkeiten über das sich nähernde außerirdische Raumschiff waren, das meine Jungs unbedingt mit dem Teleskop hatten finden wollen. Offenbar traf es genau planmäßig ein und sollte nach wie vor die Erdbahn in einer Entfernung kreuzen, die knapp als ›beliebig nahe‹ bezeichnet wurde, und zwar genau zum Frühlingsäquinoktium.
Wie auch immer, ich hatte wichtigere Sorgen als das Ende der Welt.
Weniger als vierundzwanzig Stunden nach Joe Watkins’ Ausführungen über den Tintenfisch paßte man mich in den Hummer unserer Firma ein und ich sank langsam durch schwarzes, kaltes Wasser dem defekten Energiegitter entgegen. Es war unmöglich, die Operation geheimzuhalten. Als wir unter Wasser
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