Codename: Sparta - 6 - Das Weltenschiff
Text war. Andererseits verspürte ich eine gewisse Erheiterung darüber, wie weit meine wohlmeinenden Bemühungen, seine Bedeutung zu rekonstruieren, mich in die Irre geleitet hatten.
Und Angst. Lebten wir tatsächlich in einem alternativen Universum, wie wir gerade selbstgefällig beschlossen hatten? Oder lebten wir schließlich doch in unserer eigenen Vergangenheit – einer Vergangenheit, in der irgendein unvorstellbarer Schlag eine Platte vor meinen Augen zertrümmern sollte, so daß nur ein einziges Bruchstück übrigblieb, das bis in unsere Zeit überdauerte?
Bill starrte mich an, seine Nase war rot vor Kälte. Seinem Gesicht war anzusehen, daß er meine Sorge nicht teilte. »Ich frage mich, was in aller Welt das hier zerstören könnte?« sagte er gut gelaunt.
Unwissend wie ich war, konnte ich nur den Kopf schütteln.
Jo rief uns aus ein paar Metern Entfernung etwas zu. »Die Kälte macht uns zu schaffen. Wir gehen zurück zur Medusa.«
Bill zog sich den Umhang fester um die Schultern. »Ich denke, ich schließe mich ihnen an, Sir.«
Sir? So hatte er mich eine ganze Weile nicht angeredet. Irgendwas an meinem Verhalten hatte ihn berührt. Wir alle kannten uns viel zu gut für solche Formalitäten. Vielleicht lag Troy, was meine Rolle anbetraf, auch richtiger, als ich freiwillig zugeben wollte.
Ich sah den anderen nach, als sie durch den gefrorenen Schnee auf das fremdartige Schiff zustapften, das unter dem gefrorenen Himmel auf sie wartete, ein Schiff, dessen elegant aufschwellende Membrane und wehende Tentakel Formen waren, die in einem warmen Meer entstanden, und die auf den ersten Blick in einer arktischen Landschaft so fehl am Platze wirkten. Dennoch waren sie uns ›Marsmenschen‹ so vertraut, daß sie uns nicht exotischer vorkamen als ein Skimobil.
Ein letzter Blick auf die spiegelglatte marsianische Platte … vielleicht war dies tatsächlich eine andere Realität, und die Platte würde die Ewigkeit überdauern. Oder, wenn sie ihrem Schicksal nicht entkommen sollte, würde es vielleicht noch eine Milliarde Jahre dauern, bis es zum großen Knall kam. Vielleicht waren wir so glücklich und würden es nie erfahren, es nie erfahren müssen.
Ich wandte mich ab und machte mich auf den Weg zur Medusa. Zwischen ihr und dem Horizont schwebten vor den grauen Wolken weitere Flotten von Medusen, die dort wie in einer Ozeanströmung wehten. Hinter ihnen ging eine weißgraue Sonne auf …
Die Sonne war das Weltenschiff, das sich auf Säulen weißen Feuers erhob. In diesem Augenblick wußte ich, daß es auf dem Weg zum Jupiter, der Großen Welt war und Thowintha an Bord hatte – oder besser ›Thowintha-Bewußtsein‹. Unzählige Fragen schwirrten mir durch den Kopf. Einige, das wußte ich, würden nie beantwortet werden, auf andere sollte ich schon bald eine Antwort erhalten.
Reisten Troy und Redfield im Weltenschiff mit, um das Erwachen abzuwarten – um in einer Milliarde Jahren geweckt zu werden, von uns und von sich selbst? Oder hatten sie vor, hier zu bleiben und zusammen mit uns alt zu werden und auf dem Mars zu sterben? Erwarteten sie von uns, die einmal ihre Freunde gewesen waren, mit offenen Armen aufgenommen zu werden?
Flotten von Medusen tanzten um uns herum, als das glänzende Weltenschiff näher kam wie ein gewaltiger konvexer Spiegel, der beinahe den Schnee unten und oben die Wolken streifte. Ich blickte hinauf und sah im Spiegelbild des gewaltigen Reflektors das grandiose Schauspiel ringsum – den Schnee und den Turm und die Massen der Medusen, jedoch alles auf dem Kopf stehend, überwältigt und überwältigend.
Wie soll man jemandem klarmachen, was Überwältigtsein wirklich bedeutet? Wie soll man jemandem diesen scheinbar im übertragenen Sinne gemeinten Ausdruck veranschaulichen? Dazu müßte man hier stehen, dachte ich. Wenn man überwältigt ist, dann befindet man sich unter irgend etwas – unter der sich kräuselnden Welle der Ganzheit. Sieh genau hin, solange du noch kannst.
Fasziniert von diesen Gedanken und dem Erfrieren vielleicht näher als ich ahnte, blieb ich wie angewurzelt stehen – hypnotisiert vom Weltenschiff, das über dem Polarschnee des Mars immer näher kam – als mir plötzlich die Oberfläche des Planeten unter den Füßen weggerissen wurde.
18
Troy hatte recht gehabt, sich Sorgen um uns zu machen. Die Gefahr entstand jedoch nicht aus einem unkontrollierten Umgang mit den schwarzen Löchern. Jedenfalls nicht direkt.
Ich schreibe dies ungezählte Stunden
Weitere Kostenlose Bücher