Codewort Geronimo - der Augenzeugenbericht zum Einsatz der Navy-SEALs gegen Osama bin Laden
Wachmannschaft von unbekannter Stärke zu tun und keine Ahnung, wo die übrigen Rettungskräfte waren. Einsatzleiter Bull Simons und ein zweiter Hubschrauber voller Soldaten waren nicht in Sicht.
Wo war der andere Sturmtrupp? Wo blieb die Verstärkung?
Sie waren auf sich allein gestellt und befanden sich nun im Kampf.
Simons und sein Team mit dem Rufzeichen Greenleaf waren fast 500 Meter südlich des Lagers an einem ziegelgedeckten Steinbau abgesetzt worden, der als „Schule“ geführt wurde. Simons und seine Mannschaft verließen den Helikopter über die Rampe und verteilten sich. Sobald die Maschine abhob, war Simons klar, dass er südlich des Zielobjekts abgesetzt worden war.
Zu seinem Entsetzen stellte Simons fest, dass er in doppelter Hinsicht am falschen Ort war. In der Schule wimmelte es von nordvietnamesischen Soldaten. Es waren Hunderte. Über drei Kompanien chinesischer Militärberater und nordvietnamesischer Ingenieure waren dort einquartiert und Simons und sein Team waren direkt über ihren Köpfen eingeflogen worden.
Simons’ taktische Optionen waren begrenzt. Er konnte sich zurückziehen oder den Feind mit aller Kraft angreifen, bevor die nordvietnamesischen Soldaten merkten, dass sie zehn zu eins in der Überzahl waren. Simons tat, was jeder gute Offizier getan hätte – er griff an.
In wildem Nahkampf arbeitete sich Simons’ Trupp in die Kaserne vor, warf Granaten und überzog die Räume mit Maschinengewehrfeuer. Innerhalb von fünf Minuten fielen mehr als 100 chinesische Soldaten. Die übrigen flohen in höchster Verwirrung. Simons beorderte per Funk den Hubschrauber zurück, befahl seine Mannschaft an Bord und landete schließlich am eigentlichen Zielort.
Als Greenleaf schließlich das Lager erreichte, hatten sich die Wachsoldaten zerstreut und das Feuer war verstummt. Meadows rannte zum Hubschrauber und traf dort auf seinen Vorgesetzten.
„Schlechte Nachrichten“, sagte er. „Hier ist niemand. Sie haben sie verlegt. Sie sind alle weg.“
Es hatten zwar amerikanische Kriegsgefangene in dem Lager eingesessen, doch sie waren schon 16 Wochen zuvor an einen anderen Ort gebracht worden. Mittlerweile wimmelte es in der Gegend von nordvietnamesischen Soldaten, die die zwei Feuergefechte und der grelle Schein der Leuchtgeschosse alarmiert hatten. Simons befahl, den havarierten Helikopter in die Luft zu jagen, trat mit seinen Leuten den Rückzug an und flog zurück nach Thailand.
Die ganze Aktion hatte 28 Minuten gedauert.
Am folgenden Morgen, als die Nordvietnamesen zum Gefängnis von Son Tay zurückkehrten, fanden sie den abgestürzten HH-53. Das abgebrochene Heck ragte wie ein Denkmal vor dem Büro des Lagerkommandanten auf.
Wann und warum die amerikanischen Gefangenen aus Son Tay verlegt worden waren, ist unbekannt. Nach dem Krieg hieß es, die Gefangenen seien vier Monate zuvor in ein Satellitenlager namens Dong Hoi gebracht worden. Amerikanische Kriegsgefangene waren bei dem Angriff auf Son Tay nicht befreit worden. Eine Botschaft hatte er trotzdem übermittelt. Die Nordvietnamesen verlegten alle amerikanischen Kriegsgefangenen nach Hanoi und behandelten sie besser. Die Moral unter den Gefangenen erhielt enormen Auftrieb, als sich herumsprach, dass ein Spezialeinsatz zu ihrer Befreiung stattgefunden hatte.
Der Überfall auf Son Tay stellte einen Wendepunkt in der Spezialeinsatzplanung der USA dar. Er sollte einer der am gründlichsten analysierten Spezialeinsätze werden und wertvolle Lektionen liefern, die sich noch Jahrzehnte später für Neptune’s Spear als sehr nützlich erwiesen. Der Sturmtrupp war im tiefsten Nordvietnam abgesetzt worden, hatte das Ziel erreicht und war ohne Verluste wieder ausgeflogen worden – obwohl einer der Hubschrauber beim Anflug abgestürzt war. Es zeugt von der Kompetenz der Planer und der großen Tapferkeit der Einsatzkräfte, dass kein einziger Amerikaner sein Leben verlor bei einem Angriff, bei dem über 500 feindliche Soldaten getötet oder verletzt wurden.
Die Einsatzplanung für den Einfall in Son Tay war ausgeführt worden von den Green Berets, Offizieren der Air Force Special Operations, und von einem Kader von Navy SEALs unter Führung eines forschen, freimütigen, rotblonden Ex-Footballspielers namens Marvin Krupinsky.
Dass Krupinsky kein Blatt vor den Mund nahm, hatte ihm bei den SEALs nicht nur Freunde gemacht, doch seine genialen Fähigkeiten als Planer und Taktiker wurden rasch erkannt. Krupinsky sollte großen Einfluss auf die
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