Codewort Geronimo - der Augenzeugenbericht zum Einsatz der Navy-SEALs gegen Osama bin Laden
Muslimbruderschaft ein spektakuläres Ende für Ägyptens ersten Friedensnobelpreisträger. Ein in ägyptische Armeeuniformen gekleidetes Killerkommando bestieg bei einer großen Parade ein Militärfahrzeug. Als der Wagen an der Loge des Präsidenten vorbeikam, sprangen die Attentäter ab, warfen Handgranaten in die Menge und überzogen die Tribüne mit einem Kugelhagel aus ihren automatischen Waffen. Anwar al-Sadat stand still und salutierte, als seine Mörder mit einem kompletten Magazin eines AK-47-Sturmgewehrs seinen Brustkorb durchsiebten.
Als Sadat fiel, rief einer der Todesschützen: „Ich habe den Pharao getötet!“
Gleich nach dem Attentat auf Sadat war Aiman Sawahiri an der Planung eines Anschlags auf dessen Beerdigung beteiligt. Als die Schützen verhaftet wurden, bevor sie ihren Plan ausführen konnten, ging Sawahiri in den Untergrund. Ein paar Wochen später versuchte er, sich nach Pakistan abzusetzen. Auf dem Weg zum Flughafen wurde er festgenommen.
Die ägyptische Polizei hielt die Verhaftung geheim. Sawahiri wurde in einem Verlies in der mittelalterlichen Zitadelle gefangen gesetzt, die auf Kairo herabblickte. Dass ihnen da kein kleiner Fisch ins Netz gegangen war, war den Beteiligten klar. Die Behörden wiesen seine Familie aus und nahmen auf der Suche nach Beweisen seine Wohnung auseinander. Sie fanden genug, das Sawahiri und mehrere andere belastete. Im Polizeigewahrsam wurde Sawahiri nackt ausgezogen und mit Stromkabeln geschlagen. Man verabreichte ihm mit an Autobatterien angeschlossenen Drahtbügeln Elektroschocks in die Genitalien und ließ Kampfhunde auf ihn los. Als Gipfel der Entwürdigung wurde er sexuell misshandelt und mit einem Holzstock vergewaltigt.
Da brach er zusammen.
Um sein Leben zu retten, verriet Sawahiri seine Mitverschwörer und half dem ägyptischen Geheimdienst, Issam al-Qamari zu verhaften, einen desertierten ägyptischen Panzerkommandanten und eine Schlüsselfigur der Dschama‘a al-Islamiy y. Für seinen Verrat schenkte man Sawahiri das Leben. Aus Angst vor Vergeltung floh Sawahiri aus Ägypten, erst nach Tunesien und später nach Saudi-Arabien.
Ob Osama bin Laden von Sawahiris Kollaboration wusste, als sie sich Ende 1984 in Dschidda kennenlernten, ist nicht gesichert. Damals unternahm bin Laden gerade seine ersten Reisen nach Pakistan und war noch keine Symbolfigur für den islamischen Fundamentalismus. Sawahiris Reden auf der Anklagebank hatten ihn in Dschihadi-Kreisen bekannt gemacht. Während Sawahiri im Gefängnis gesessen hatte, hatte sich die Welt verändert. Israel war im Libanon einmarschiert, amerikanische Marines in Beirut abgeschlachtet worden und afghanische Aufständische hatten im Kampf gegen die russischen Invasoren die Oberhand gewonnen. Da vermutet wurde, dass Sawahiri Informationen weitergegeben hatte, war er aus der Führungsspitze von al-Dschihad ausgeschlossen worden. Er war ein gebrochener Mann, der von Albträumen gepeinigt wurde. Wäre er nicht dem saudischen Millionär begegnet, hätte er vermutlich wieder als Arzt praktiziert.
Psychologische Studien belegen, dass sich die Persönlichkeit von Menschen verändert, die über einen längeren Zeitraum Schlägen und körperlicher Brutalität ausgesetzt sind. Manche Überlebende werden zu Einzelgängern. Psychisch stabilere verarbeiten die Erfahrung, transzendieren die Gewalt, vergeben ihren Peinigern und versuchen, ihr Leben weiterzuleben. Aiman Sawahiri war misshandelt und von seinen Wärtern vergewaltigt worden. Sie hatten ihm Gewalt angetan, doch er selbst hatte sich Schlimmeres zugefügt. Er hatte seinen Glauben verraten und der Regierung geholfen, mehrere seiner Kameraden und Mitwisser zu verhaften. Was man ihm angetan hatte, war unentschuldbar und abscheulich. Sawahiri empfand Hass für die Taten und für die Täter. Doch er hasste sich auch selbst. Und diese Selbstverachtung kehrte er nach außen und richtete sie gegen die Welt.
Es ist nicht bekannt, wann genau Osama Sawahiri begegnete, aber vermutlich war es damals in Dschidda. Ebenso wahrscheinlich ist, dass Osama der Familie Sawahiri Geld gab, damit sie ihr Leben wieder aufbauen konnte. Osama war ein großzügiger Mann. Ganz gleich wie er über die Ermordung Anwar al-Sadats dachte, Sawahiri war ein Muslimbruder und Osama verpflichtet, ihm zu helfen. Die finanzielle Unterstützung ermöglichte es Sawahiri, eine kleine Praxis einzurichten und die Miete für seine Klinik in Kairo weiterzuzahlen. Das hätte er ohne einen größeren
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