Codewort Geronimo - der Augenzeugenbericht zum Einsatz der Navy-SEALs gegen Osama bin Laden
Sawahiri sorgte dafür, dass ganz Peschawar von dem bevorstehenden Angriff erfuhr. Gelangweilte Dschihadis fühlten sich prompt berufen, Busse ins Basislager von Dschadschi zu besteigen und sich den Angreifern anzuschließen. Ein unerschrockener amerikanischstämmiger Dschihadi, Abu Rida, fuhr im eigenen Auto aus der Stadt hinaus und fand die Kolonne, indem er einen Maultiertreiber fragte, wo Osama bin Laden zu finden sei.
Am Sammelpunkt herrschte das Chaos. Soldaten brüllten herum, Maultiere schrien, Funkgeräte knisterten. Befehle und Gegenbefehle wurden ins Tal hinuntergerufen. Erst kamen die Wagen mit der Munition zu spät und die Angriffstruppen hatten keine Gewehrkugeln. Dann mussten Raketenwerfer und Mörser in Stellung gebracht werden, um den Angreifern Deckung zu geben. Das hätte schon Tage vorher geschehen können. Es waren keinerlei Vorkehrungen zur Versorgung mit Lebensmitteln oder Wasser getroffen worden. Immer wieder wanderten Soldaten zum Stützpunkt zurück, um sich etwas zu essen zu holen. Die elektrischen Geräte und Kabel, die zum Abfeuern von Raketen benötigt wurden, waren im Basislager vergessen worden. Ein Reiter wurde losgeschickt und galoppierte über den Berg, um sie zu holen.
Osamas kollegialer Führungsstil war nicht dazu angetan, den Offizieren die Autorität zu verleihen, Befehle zu erteilen. Viele Soldaten standen untätig herum. In Zweier- und Dreiergruppen zogen sich manche wieder in ihre Bunker zurück und legten sich schlafen. Offenbar dachte niemand daran, sie zurückzuhalten.
All das spielte sich am helllichten Tag ab – direkt im Blickfeld des Angriffsziels.
Die Soldaten der afghanischen Armee, die Osamas Ziel besetzt hielten, machten sich davon und ließen nur einen Mann mit einem veralteten Gorjunow-Maschinengewehr zurück. Dieser war entweder sehr mutig oder schlicht neugierig auf das, was als Nächstes passieren würde. Er blieb hinter seiner Waffe, feuerte aber nicht, sondern wartete ab.
Irgendwo in dem wachsenden Pulk von Soldaten war Osama und fühlte sich elend. Das passierte ihm regelmäßig vor einer Berührung mit dem Feind. Er gab sich Mühe, sich vor seinen Männern zusammenzureißen, doch seine Mattigkeit und seine düstere Miene flößten ihnen kein Vertrauen ein.
Osama gestattete einem seiner Stellvertreter, vor dem Angriff eine Ansprache zu halten. Ihm wurde jedoch das Wort abgeschnitten, als sich der einsame afghanische Verteidiger entschloss, das Feuer zu eröffnen. Zum Zielen hatte er lange genug Zeit gehabt.
Eine Garbe Leuchtspurgeschosse ging auf das Menschengewühl nieder, tötete sofort einen der Angreifer und verletzte zwei weitere schwer. Gurt um Gurt zischten 7,62-mm-Kugeln über die Felsen und zogen einen Funkenregen durch die hereinbrechende Abenddämmerung. Maultiere plärrten und warfen ihre Lasten ab, Pferde gingen durch und Soldaten ohne Befehle warfen sich auf den Boden oder liefen in alle Himmelsrichtungen davon. Niemand forderte Feuerschutz oder ordnete irgendwelche Maßnahmen an. Irgendwo saß Osama erstarrt hinter einem Felsblock. Soldaten flohen und ihre Offiziere rannten hinterher.
Der einsame Verteidiger feuerte weiter, bis der Lauf seiner Waffe erst rot und dann weiß glühte. Ein einziger Mann hielt 100 führerlose Dschihadis in Schach, bis es dunkel war. Als ihm die Munition ausging, beeilte sich der afghanische Soldat, seine Einheit einzuholen, die bereits eineinhalb Kilometer von der Angriffslinie entfernt war.
Es war gelaufen. Frustriert kehrten Osamas Männer in die Höhle des Löwen zurück. Manche packten ihre Ausrüstung zusammen und verschwanden auf Nimmerwiedersehen. Es war ein einziges Fiasko gewesen, für das wundersamerweise nur ein Mann mit seinem Leben bezahlt hatte. Osamas Ruf als Kommandeur war auf dem Tiefpunkt.
Die afghanischen Soldaten, die das Debakel beobachtet hatten, verbreiteten die Geschichte, dass ein einziger Soldat die Araber besiegt hatte. Als die pakistanische Armee davon erfuhr, begann sie, Osamas Gasthäuser in Peschawar zu schließen.
Wie es schien, war Osama bin Ladens großes Abenteuer vorbei.
Er kehrte nach Peschawar zurück, wo ihm Aiman Sawahiri erwartungsgemäß vorsagte, er müsse mehr Entschlossenheit zeigen. Zur Aufrechterhaltung der Moral sei es nötig, dass Osama einen weiteren Angriff führe. Dieser solle besser geplant und Osama dabei von einem von Sawahiris vertrauenswürdigen ägyptischen Kommandeuren, Abu Ubayda, unterstützt werden.
Im Mai begleitete Osama einen
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