Codewort Geronimo - der Augenzeugenbericht zum Einsatz der Navy-SEALs gegen Osama bin Laden
zuverlässigen Zug Afghanen mit, die die Araber zurückbegleiten sollten.
Bin Laden wartete bis zum nächsten Morgen und machte sich dann auf den Rückweg zur Höhle des Löwen. Dort kam er an, als die Stellung für sicher erklärt worden war. Er tauchte mit einer kleinen Einheit von Leibwächtern mitten am Vormittag auf. Es war Idu l-Fitr, das Fest des Fastenbrechens nach dem Ramadan, das diesmal recht trostlos begangen werden sollte. Auf Osamas Befehl hatten die Kämpfer auf dem Rückzug die übrigen Vorräte ungenießbar gemacht, damit sie nicht den Russen in die Hände fielen. Nun durchstreiften seine Leute die Ruinen, um irgendetwas zu essen aufzutreiben. Sie fanden nur ein paar Zitronen.
Bei seiner Rückkehr ins Lager muss Osama eine Art Zusammenbruch erlitten haben. Er erteilte keine Befehle und ließ zu, dass ihn Sawahiris militärischer Berater Abu Ubayda erneut an die vorderste Front ins Kampfgebiet schickte.
Vermutlich kam ihm nie der Gedanke, dass ihn außer den Russen auch noch andere tot sehen wollten. Mit seinen Begleitern war er auf dem Weg an die linke Flanke des Lagers. Es war taghell und Osama hatte sich mit seiner kleinen Gruppe unvorsichtigerweise einer dicht bewaldeten Anhöhe genähert. Dort ließ er sie zu einer dilettantischen Schützenlinie ausschwärmen.
Osama hatte sich unwissentlich bis auf 100 Meter auf einen russischen Spähtrupp zubewegt. Aus unbekannten Gründen kletterte Osama auf einen Baum, was – anders als in John-Wayne-Filmen dargestellt – im Kampf fast immer sofort tödlich ist. Unverzüglich wurde er unter Beschuss genommen. Eine raketengetriebene Granate wurde auf ihn abgefeuert. Sie explodierte in einem Feuerball aus Rinde und Kiefernnadeln und schüttelte den Baum so kräftig, dass Osama beinahe in den Tod stürzte.
Osamas Erinnerungen an diese Feindberührung sind bizarr, klingen aber wahr. Lawrence Wright zitiert ihn in Der Tod wird euch finden: Al-Qaida und der Weg zum 11. September folgendermaßen:
„Sie [die Rakete] passierte mich und explodierte in der Nähe, doch mir geschah nicht das Geringste. Ja, durch die Gnade Allahs, des Erhabenen, war es, als sei ich von einer Handvoll Erde vom Boden bedeckt. Ich kletterte ruhig hinunter und teilte den Brüdern mit, dass sich der Feind auf der Mittelachse befand, nicht am linken Flügel.“
Osama entfernte sich von dem Baum, als der Abhang von Mörserfeuer verwüstet wurde. Er fand irgendwo Deckung, vermutlich in einer vorher eingerichteten Feuerstellung. Bäume und Vegetation um ihn herum waren so dicht, dass er von den Russen nicht entdeckt wurde, als sie entschlossen vorstießen, den Hügel mit ihren automatischen Waffen mit einem Kugelhagel überzogen und versuchten, Osama und seine Männer aufzustöbern.
In der Höhle des Löwen zeigte Abu Ubayda, was er konnte. Er führte einen Gegenangriff, schaffte es, die Russen in der Flanke anzugreifen und den Hügel hinunterzutreiben. Osama behauptet, er habe während der Kampfhandlungen ein Nickerchen gemacht.
Die Geschichte von Osamas Mittagsschläfchen auf dem Schlachtfeld wurde von Azzam und anderen als Beweis für seine unerschütterliche Entschlossenheit und seinen mannhaften Mut erzählt. Wahrscheinlicher ist, dass er infolge der Addison-Krankheit das Bewusstsein verlor. Nach seinem Tod sollte eine DNS-Probe enthüllen, dass Osama an dieser Erkrankung der Nebennierenrinde litt. Das ist ein lebensbedrohlicher Zustand, der plötzliche Ohnmachten hervorrufen kann, vor allem unter Stress.
Während das Feuergefecht weiterging, kam Osama wieder zu sich und hatte die Geistesgegenwart, in Deckung zu bleiben, während die Russen durch den Gegenschlag zurückgeworfen wurden. Abu Ubayda und andere behaupteten, 30 russische Soldaten der Spezialeinheit Spetsnaz seien bei dem Einsatz getötet worden.
Wie hoch ihre Zahl in Wirklichkeit auch war, Osama jedenfalls erhielt von seinen Männern einen schnittigen AKSU-Karabiner, den sie auf dem Schlachtfeld gefunden hatten. Die Waffe, von den Russen Sutschka genannt, war die Standardwaffe der Spetsnaz und wird für ihre kompakte Feuerkraft hoch geschätzt. Diese Waffe hatte Osama bis ans Ende seines Lebens stets an seiner Seite und posierte damit bei jeder Gelegenheit.
Nach fünf demütigenden Kampferfahrungen konnte Osama endlich mit einem echten Erfolg auf dem Schlachtfeld aufwarten. Dieser Sieg bewegte die Pakistanis dazu, dem Dienstbüro zu gestatten, seine Arbeit wieder aufzunehmen. Das eintägige Gefecht wurde in
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