Codewort Geronimo - der Augenzeugenbericht zum Einsatz der Navy-SEALs gegen Osama bin Laden
gefunden“ dem Eingeständnis „Wir haben den Feind bewaffnet“ vorzuziehen.
Die Geschichte ist durch militärische Wendepunkte gekennzeichnet: Beispiele dafür sind die Schlachten von Cannae und Waterloo, der deutsche Blitzkrieg in Europa und Amerikas Niederlage in Vietnam. Jedes Mal hat eine radikale, epochemachende Änderung der Taktik zur Niederwerfung einer Weltmacht geführt. Am 16. Mai 2003 hat sich in al Baya im Irak die Welt für immer verändert. Bis zu jenem Tag war Massenvernichtung ausschließlich Supermächten vorbehalten.
Al-Qaida verfügt über chemische Waffen. Dieser beklemmende Umstand hat dazu geführt, dass sich die Kriege im Irak und in Afghanistan seit über zehn Jahren hinziehen. Osama bin Laden, ein asketischer, millionenschwerer religiöser Autodidakt, hatte den Vereinigten Staaten den Krieg erklärt und wollte sie mit Stumpf und Stiel ausrotten. Das war keine bloße Prahlerei – Osama bin Laden hat die schlimmsten Terroranschläge in der Geschichte finanziert und dirigiert. Auf sein Betreiben bombardierte al-Qaida Botschaften, köpfte Journalisten und plante Attentate auf Präsident Clinton und Papst Johannes Paul. Er ließ Passagiermaschinen ins World Trade Center stürzen und beobachtete mit Genugtuung über Satellit, wie 3.000 Menschen verbrannten. Jetzt hatte er chemische Waffen – und er beabsichtigte, sie gegen die Vereinigten Staaten zu verwenden.
Im Weg stand ihm dabei nur eins: SEAL-Team 6.
NEPTUNE’S SPEAR
WEITERPLANEN, FORTBESTEHEN
AN EINEM KALTEN JANUARMORGEN klingelte in Scott Kerrs Büro beim SEAL-Team 6 in Virginia Beach das abhörsichere STE-Telefon. Das geschah drei- oder viermal pro Tag und die Anrufe kamen direkt von der Hauptstelle des JSOC. In der Regel bedeuteten sie, dass irgendjemand irgendwohin versetzt wurde. Als der SEAL-Disponent Scott mitteilte, er sei der neue kommandierende Offizier des SEAL-Teams 6, freute er sich. Das war das begehrteste Kommando in der Welt der SEALs – die Krönung einer SEAL-Karriere. Jetzt hatte er den Job schon sieben Monate und fragte sich allmählich, ob es wirklich so eine gute Idee gewesen war, ihn anzunehmen. Team 6 war in der ganzen Welt unterwegs, auf richtig aufregenden Einsätzen, und er saß die meiste Zeit über in Virginia Beach. Im Scherz sagte Scott manchmal zu seiner Frau Martha, er sei wohl als Reiseverkehrskaufmann eingestellt worden.
Der Anrufer, der Stabschef des JSOC, bat Scott, zum JSOC zu fliegen, wo für den Nachmittag eine Besprechung angesetzt sei. Sofort? Doch bevor er noch um Aufschub bitten konnte, entkräftete der Stabschef schon jeden Einwand. „An der Sitzung nehmen drei Personen teil“, sagte er. „Sie, der Admiral und jemand von der Agency.“ Scott lehnte sich zurück. Mit Admiral war William McRaven gemeint, der Chef des JSOC, und die Agency, ebenso unverwüstlich und rasch wuchernd wie Giftefeu, war die CIA. Die Sitzung war demnach wichtig. Scott holte ein gestärktes Uniformhemd aus dem privaten kleinen Badezimmer, das sich an sein Büro anschloss, und ließ sich seinen Aktenkoffer bringen. Buck Buckwalter steckte den Kopf in die Tür. Buck war Master Chief des Kommandos und ranghöchster Unteroffizier. Er war nicht nur Scotts direkter Verbindungsmann zur Truppe, sondern auch seine rechte Hand bei Einsätzen und Planung. Und manchmal fungierte er sogar als Butler.
„Was kommt in den Aktenkoffer, Skipper?“, fragte Buck. „Was soll ich raussuchen?“ Buck sprach von den Notfallplänen, von denen das Kommando 1.000 Stück vorhielt. Alle möglichen Was-wärewenn-Szenarien, von der Entführung des Präsidenten bis zur Rückeroberung der Botschaft in Estland von Aufrührern.
„Gar nichts“, sagte Scott. „Für den Moment jedenfalls.“ Scott knöpfte seine Uniformjacke zu, prüfte, ob seine Stiefel glänzten, und griff nach seiner gestärkten Marinemütze. „Gib mir einfach das Zeug für den Arbeitsflug mit, damit ich auf dem Weg den Dschungel ein bisschen lichten kann.“
Seine Abstecher zum Hauptquartier waren für Scott Kerr so alltäglich, dass er stets einen bestimmten Aktenkoffer für den „Arbeitsflug“ bereithielt – mit Dingen, die er auf dem Hubschrauberflug von einem Stützpunkt zum anderen erledigen konnte. Genau diese Tätigkeiten waren es, derentwegen er sich wie ein Reisebüroangestellter vorkam: Berichte über Sprit- und Munitionsverbrauch, Marschbefehle, Verpflegungs- und Mietwagenquittungen, Leistungsbewertungen und haufenweise Papierkram, der
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