Codewort Geronimo - der Augenzeugenbericht zum Einsatz der Navy-SEALs gegen Osama bin Laden
Sieht aus, als wäre sie für Flugabwehrausrüstung gebaut worden, vermutlich für ein Maschinengewehr. Eine Waffe ist zurzeit nicht montiert und das haben wir auch nachts nicht beobachtet. Es ist nicht auszuschließen, dass sie da drin ein paar Strelas haben.“
„Das ist nicht gut“, dachte Kerr laut. Strelas waren Hubschrauberkiller.
„Die CIA wird ein paar Männer hinschicken. Die sollen sehen, ob sie nicht ein bisschen mehr über den Bewohner in Erfahrung bringen können.“
Scott Kerr sah seinen Boss an. Obwohl es inzwischen Uniformen mit digitalen Tarnmustern gab, mit schrägen Taschen und Klettverschlüssen, trug Bill McRaven immer noch den grünen Kampfanzug der alten Schule im Woodland-Muster. Das sagte etwas aus über die Art, wie er an Spezialeinsätze heranging. Er war durchaus aufgeschlossen für Neuerungen – schließlich stand und fiel der Erfolg solcher Missionen mit unverbrauchten Taktiken und unkonventionellen Denkansätzen. Bill McRavens Abschlussarbeit an der Naval Postgraduate School hatte sich zu einer 300 Seiten starken Analyse von zehn der wichtigsten Spezialeinsätze der Militärgeschichte ausgewachsen. Wie die meisten SEAL-Offiziere hatte auch Scott das Buch des Admirals gelesen. Bill McRaven wusste gewöhnlich, wovon er sprach.
„Ist es also Bert oder Ernie?“, fragte Kerr.
In den letzten Jahren hatten die Geheimdienstanalysten des SEAL-Teams Osama bin Laden „Bert“ genannt und seinen Stellvertreter Aiman Sawahiri „Ernie“. Einer war hochgewachsen und schweigsam, der andere ein pummeliger kleiner Kläffer. Sie hießen so nach den berühmten Handpuppen aus der Sesamstraße . Irgendein Witzbold vom Geheimdienst hatte ihnen diese Spitznamen verpasst, und sie waren hängen geblieben.
Walter verstand die Anspielung auf die Sesamstraße nicht. Der offizielle JSOC-Deckname für Osama war „Crankshaft“ – Kurbelwelle.
„Unsere Techniker haben einen Stimmabdruck“, fuhr Walter ruhig fort. „Die Aufnahmen sind zwar ein bisschen undeutlich, doch der Stimmabdruck identifiziert unseren Mann mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 60 bis 70 Prozent.“
„Techniker“ arbeiteten mit Abhöranlagen oder abgefangener Kommunikation. Ein Stimmabdruck war ein ganz guter Anhaltspunkt für eine Identifizierung.
„Das National Reconnaissance Office hat einen Satelliten über dem Anwesen geparkt. Sie haben seinen Schatten gemessen“, ergänzte McRaven.
„Er ist über 1,83 Meter.“
Zum ersten Mal seit Beginn der Besprechung beschleunigte sich Scott Kerrs Puls. Ein Satellit wurde nicht mal eben so über einem Ziel positioniert. Aufklärungssatelliten waren Aktivposten von nationaler Bedeutung. Man richtete sie nicht auf einen Ort aus, nur weil man sich routinemäßig dafür interessierte. Allmählich wurde die Sache spannend.
McRaven konnte in den Gesichtern anderer so gut lesen, wie er sein eigenes unter Kontrolle hatte.
„Ich treffe mich am 14. März noch einmal mit dem Präsidenten. Ich ziehe drei Vorgehensweisen in Betracht. Eine ist eine JDAM.“ Eine JDAM war eine gelenkte Bombe mit einer Reichweite von 50 bis 65 Kilometern. Solche Bomben waren technisch nicht so komplex, konnten aber harte Ziele besser durchschlagen als ein Marschflugkörper. Im Gegensatz zu Marschf lugkörpern konnte eine JDAM nicht abgeschossen werden und wich sehr selten vom Kurs ab. JDAMs wurden in der Regel von Stealth-Bombern abgeworfen und wo sie trafen, wuchs gewöhnlich kein Gras mehr. Das überlebte niemand. Sollten JDAMs zum Einsatz kommen, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass von Osama nicht viel übrig blieb – und von seinem Haus und der näheren Umgebung ebenso wenig.
McRaven fuhr fort: „Die zweite Option ist eine gemeinsame Operation mit dem Gastgeberland.“
Das Wort „Gastgeberland“ war ein weiterer Stolperdraht.
Die Formulierung ließ vermuten, dass die mehr als 1,83 Meter große Zielperson irgendwo „zu Gast“ war. Hätte man Kerr damit beauftragt, eine Operation im Irak oder in Afghanistan durchzuführen, hätte sicherlich niemand von gastfreundschaftlichen Beziehungen gesprochen.
In der Regel beschränkte das JSOC gemeinsame Operationen auf vertrauenswürdige NATO-Verbündete. Was das SEAL-Team 6 tat, war leicht zu erraten, doch wie es dabei zu Werke ging, war ein penibel gehütetes Geheimnis.
Kerrs nächste Frage würde die möglichen Zielorte für ihn maßgeblich einengen. „Haben wir es mit einem permissiven oder einem nicht permissiven Umfeld zu tun?“
„Nicht
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