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Codewort Rothenburg

Codewort Rothenburg

Titel: Codewort Rothenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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wartete einen Moment. Als niemand antwortete, trat sie unaufgefordert ein. An der rechten Wand des winzigen Flurs stand ein kleiner Empfangstisch, dahinter ein Stahlschrank. Aus einer geöffneten Schublade ragte eine aufrecht stehende Karteikarte heraus. Aus dem Raum gegenüber der Eingangstür vernahm sie Gemurmel. Ein handgeschriebenes Schild mit der Aufschrift »Wartezimmer« hing an der Tür. Wieder klopfte Luise. Augenblicklich wurde es still. Als sie das Zimmer betrat, blickten ihr sieben Menschen - vier Männer und drei Frauen - entgegen. Irgendetwas stimmte nicht, doch Luise brauchte einige Sekunden, ehe sie wusste, was falsch war. Die Leute in diesem Wartezimmer waren zu jung und sahen entschieden zu gesund aus.
    »Am Empfang war niemand, ist der Doktor nicht da? Das wäre schade!«
    Luise räusperte sich und sah die Frau an, die direkt gegenüber dem Eingang saß. Sie schlug die Beine übereinander und schwieg. Wie alle im Raum. Also sagte Luise den Satz, den Erna Neeb ihr eingetrichtert hatte.
    »Dr. Anton ist mir von Anneliese Schrot empfohlen worden. Er soll der beste Lungenspezialist der Stadt sein.« Als sie es aussprach, fiel ihr auf, wie unsinnig das war, schließlich stand klar und deutlich Praktischer Arzt auf dem Türschild. Die Frau deutete ein Lächeln an und zeigte auf einen freien Stuhl neben sich.
    »Setzen Sie sich. Ich bin Magda, und wie heißen Sie?«
    »Luise. Luise ...«
    Ein groß gewachsener, dürrer Mann, dem ein abgewetzter, brauner Anzug wie ein Sack am Körper hing, fuhr dazwischen: »Wir benutzen hier alle nur unsere Vornamen. Das muss reichen.«
    Luise schluckte. In das erneute Schweigen wurde die Tür schwungvoll geöffnet, und ein Mann trat ein. Er trug einen weißen Kittel, aus dessen Seitentasche ein Stethoskop herausragte.
    »Wie ich sehe, habe ich eine neue Patientin. Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Ich bin Dr. Karl Anton, und wenn ich es richtig deute, brauchen Sie eher einen gynäkologisch ausgebildeten Kollegen als mich allgemeinen Quacksalber.«
    Magda legte Luise die Hand auf den Arm.
    »Das ist Louise, Doktor. Anneliese Schrot hat sie geschickt.«
    »Wenn das so ist, herzlich willkommen. Sie werden verstehen, dass wir alle ein bisschen nervös sind. Haben Sie denn etwas für uns?«
    Luise zeigte auf den Persilkarton zu ihren Füßen. Der Doktor stellte die Kiste auf das Tischchen neben der Tür, öffnete sie, nahm sich selbst ein Blatt und reichte einige andere an den Schlacks weiter, der Luise vorhin so barsch unterbrochen hatte. Er drückte jedem ein Flugblatt in die Hand. Stille im Raum. Alle beugten ihre Köpfe über die Zettel. Der Doktor führte beim Lesen den rechten Zeigefinger über die Zeilen wie ein Kind im ersten Schuljahr. Luise versuchte, sich auf den Inhalt zu konzentrieren. Bereits die Überschrift ließ ihr das Blut in den Kopf schießen: »Schluss mit den Lügen!« Was folgte, war Luise nicht neu. Vermutlich hatte Harro den Text geschrieben. Es ging um den Krieg gegen Russland und dass man ihn unmöglich gewinnen könne. Am Schluss stand die Aufforderung:
    »Deutsche Bürgerinnen und Bürger. Berliner! Lasst Euch nicht belügen. Berichtet über die Wahrheit. Schließt Euch zusammen! Leistet Widerstand, wo immer Ihr könnt. Eines Tages - und das ist sicher! - wird die russische Armee Deutschland besetzen. Dann kommt es auf jeden an, der sich in diesen Tagen widersetzt hat. Jeder, der heute »nein, mit mir nicht« sagt, ist ein Hoffnungsträger für die Zukunft unseres Vaterlandes.«
    Das Blatt war mit einer Schreibmaschine auf Matrize getippt und vervielfältigt worden. Die Schrift war blass und teilweise kaum leserlich, aber es sollten so viele Abzüge wie möglich herausgeholt werden. Matrizen waren nur schwer zu bekommen. Von Erna wusste Luise, dass der Künstler Kurt am einfachsten an Papier und anderes Material gekommen war, weil er im Großhandel einkaufen konnte. Diese Quelle war versiegt.
    Der Doktor durchbrach die Stille.
    »Interessant.«
    Was für ein unpassendes Wort, dachte Luise. Sie schwieg aber wie alle anderen.
    Magda stand auf, nahm sich einen kleinen Stapel der Flugschriften vom Tisch und winkte dem Schlacks zu, der sich bei ihr einhakte.
    »Dann wollen wir mal.«
    Der Doktor legte dem jungen Mann die Hand auf die Schulter.
    »Wie immer?«
    Magda nickte.
    »Passt auf euch auf!«
    Der Arzt schaute Luise an.
    »Wir haben heute einen Männerüberschuss, deshalb können wir eine Frau gut gebrauchen. Aber wollen Sie sich das

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