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Codewort Rothenburg

Codewort Rothenburg

Titel: Codewort Rothenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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gesessen. Er war allein ins Bett gegangen. War sie schon aufgestanden oder nicht ins Bett gekommen? Wie spät war es? Im Zimmer war es stockdunkel.
    Jemand hämmerte an die Wohnungstür.
    »Axel! Komm endlich aus den Federn!«
    Rösen. Daut hob die Beine aus dem Bett. Er trug seine Anzughose, zum Glück hatte er das Hemd sauber über die Stuhllehne gehängt. War er so betrunken gewesen? Nein, war er nicht. Er schlich durch die leere Küche zur Wohnungstür, an die schon wieder gehämmert wurde.
    »Verdammt, sei leise. Du weckst das ganze Haus.«
    »Axel, mach auf. Wir haben wieder eine Leiche. Erneut eine Frau, und diesmal ist es der S-Bahn-Mörder.«
    Daut war von einer Sekunde zur anderen hellwach.
    »Dauert nur einen Moment. Bin sofort fertig.«
    Er rannte zurück ins Schlafzimmer, zog das Hemd vom Stuhl und schnupperte daran. Ein süßlicher, von Tabak unterlegter Parfümgeruch stieg ihm in die Nase. Daut riss die Schlafzimmerschranktür auf und zog ein weißes Hemd aus dem oberste Fach. Polternd fiel ein Bündel Papiere auf den Boden.
    »Mensch, Axel, wir haben nicht ewig Zeit! Nun mach schon!«
    »Ja, ja«, brummte Daut leise und hob die Papiere auf. Leere Blätter. Warum hortete Luise Papier im Kleiderschrank? Er stopfte das Bündel zurück unter die restlichen Hemden und zog sich hastig an.
    Rösen saß bereits im P4, als Daut aus dem Haus kam. Kaum hatte er sich in den Sitz fallen lassen, fuhr der Kollege mit aufheulendem Motor los.
    »Nun mach mal halblang, Ernst! Wenn ich dich richtig verstanden habe, ist die Dame doch schon tot, oder? Wo fahren wir überhaupt hin?«
    »Lichtenberg. Die Leiche liegt in einer Laubenkolonie.«
    Daut sog hörbar die Luft ein. Das passte zum S-Bahn-Mörder. Abgelegenes Gelände war sein Terrain.
    Den Rest der Fahrt schwiegen die beiden Polizisten, passend zur nächtlichen Atmosphäre. Berlin war gespenstisch. Dunkel und verlassen lagen die Straßen vor ihnen, kaum beleuchtet von dem dünnen Schlitz am Scheinwerfer, der gerade genug Licht durchließ, um auf der Fahrbahn zu bleiben. Hin und wieder huschte eine Katze vor dem Auto über die Straße. Auf der Frankfurter Allee überfuhren sie einen Igel, der sich in die Straßenschluchten der Großstadt verirrt hatte. Fast war es so, als hole sich die Natur die Stadt von den Menschen zurück. Der Homo sapiens hatte kapituliert.
    Rösen kurvte durch die Straßen rund um den Lichtenberger Stadtpark, ehe er die Laubenkolonie erreichte. Vor dem Eingang stand das Mordauto der Polizei sowie ein Leichenwagen. Schweigend gingen Daut und Rösen zu der Laube, in der sich die Tat ereignet haben musste. Die Tote, eine gewissen Frieda Kozial, war fünfunddreißig Jahre alt und nach Auskunft eines anderen Laubenpiepers, den ein uniformierter Polizist unsanft aus dem Schlaf geholt hatte, geschieden.
    Daut warf einen Blick in das Gartenhaus. Die Spuren waren eindeutig. Der Mörder hatte sein Opfer vermutlich erst vergewaltigt und dann erschlagen. Die Tat entsprach genau dem Vorgehen des S-Bahn-Mörders. Es war wie verhext. Warum schlug er jetzt wieder in einer Laubenkolonie zu? Es war fast so, als wüsste er genau, was die Polizei tat. Verringerten sie die Bewachung an einer Stelle, um sie woanders zu verstärken, schlug er garantiert an der Schwachstelle zu. Er hielt sie zum Narren.

    »Wir haben ihn. Diesmal haben wir ihn!«
    Der Polizist, der neben der Leiche kniete, war völlig außer sich. Er richtete den Strahl einer Taschenlampe auf einen deutlich sichtbaren Fußabdruck. Rudat, den Daut bisher nicht gesehen hatte, sprang in einer dunklen Ecke der Laube auf.
    »Den Abdruck sofort sichern und ab ins Labor damit. Ich will die Ergebnisse noch heute Morgen. Alle anderen zurück in die Büros. Wir suchen den Mann, der diesen Schuhabdruck hinterlassen hat. Er ist der Mörder - das habe ich im Gefühl.«
    Daut verließ den engen Raum. Er war froh, der stickigen Luft zu entkommen, und wandte sich nach rechts auf den schmalen Weg, an dem sich Garten an Garten reihte. Früher, vor dem Krieg, pflanzte der eine oder andere Kleingärtner Blumen an. Heute waren die Beete eng mit Kartoffeln, Rüben oder Bohnen bepflanzt. Was zu nichts nutze war, hatte man längst aus dem Boden gerissen. Schönheit machte nicht satt.
    An Dauts rechtem Schuh hatte sich der Schnürsenkel gelöst. Er stellte den Fuß auf einen Zaunpfosten und verknotete das Band, als er aus dem Augenwinkel einen Schatten hinter der Nachbarlaube verschwinden sah. Daut schlich um das Haus herum.

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