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Codewort Rothenburg

Codewort Rothenburg

Titel: Codewort Rothenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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Göring persönlich eingeladen hatte. Anschließend ist Lametta-Heinrich noch mit seiner Entourage weitergezogen. Soll ein rauschender Abend in einem der speziellen Etablissements gewesen sein.«
    Luise erwartete, dass man Harro widersprach, doch alle am Tisch schwiegen. Niemand saß näher an der Quelle der Informationen über militärische Vorgänge als er. Was sollte man also sagen. Die Aufbruchstimmung vergangener Tage war dahin. Angst machte sich breit. Wie würde Churchill reagieren? Was für eine Frage. Er konnte nur eine Antwort geben: Bomben. Er würde Flugzeuge schicken, auch nach Berlin.
    »Ich fürchte, du hast recht, Harro.«
    Luise starrte die Frau an, die lässig am Türrahmen lehnte. Wo hatte sie diese Schönheit bloß schon einmal gesehen? Sie war noch keine fünfundzwanzig, groß und schlank. Der enge, cremefarbene Anzug betonte ihre Figur, vor allem ihre langen Beine. Harro stand auf und begrüßte sie mit einem vollendeten Handkuss. »Willkommen«, hauchte er mehr, als er sprach. Die beiden redeten so leise miteinander, dass man ihre Unterhaltung am Tisch nicht hörte. Luise sah, wie Libertas sich mit fahrigen Bewegungen eine neue Zigarette anzündete, obwohl die alte noch im Aschenbecher qualmte. Ihr Mund schmollte. Harro führte die Dame zu einem freien Platz direkt neben Luise. Das Parfüm ist mindestens so teuer wie der Anzug, dachte sie. Harro legte ihrer Nachbarin eine Hand auf die Schulter.
    »Bitte begrüßt einen neuen Gast in unserer Runde. Ich bin sicher, dass viele von euch sich fragen, wo sie Ina schon einmal gesehen haben.«
    Die Angesprochene sah mit einem strahlenden Lächeln nach oben, und für einen Moment hatte Luise den Eindruck, Harro hätte es die Sprache verschlagen. Er fuhr aber mit genauso fester Stimme fort:
    »Bis vor Kurzem zierten ihre Fotos die Titelseiten zahlreicher Illustrierten. Ihr werdet ihr also schon an dem einen oder anderen Kiosk begegnet sein. Umso schöner, dass sie nun regelmäßig unser Gast sein wird.«
    Harro verneigte sich leicht, und einige klopften mit dem Knöchel auf den Tisch. Bei ihrer Vorstellung hatte es keinen Beifall gegeben, erinnerte sich Luise.
    »Danke für die nette Begrüßung.«
    Ina sah sich lächelnd am Tisch um.
    »Aber das alles ist Geschichte. Heute arbeite ich als Vorführdame im Salon von Annemarie Heise.«
    Luise ärgerte sich, dass ihr bei der Erwähnung des Salons ein wenn auch kleiner Begeisterungsseufzer entfuhr. Ina sah sie direkt an.
    »Na ja, ich denke, ihr wisst, dass dort ein paar Berühmtheiten einkaufen.«
    Luise nickte. Natürlich war ihr das bekannt. Marika Röck, Zarah Leander ‒ fast alle Film- und Bühnengrößen ließen sich von Annemarie Heise einkleiden. Als hätte Ina ihre Gedanken gelesen, sagte sie:
    »Ich habe nicht nur die Ehre, berühmte Filmschauspielerinnen und solche, die sich dafür halten, zu bedienen, sondern das weit zweifelhaftere Vergnügen, Damen«, sie dehnte das Wort in die Länge und kräuselte dabei die Nase, »wie Magda Goebbels oder unseres Führers Gespielin Eva Braun die neuesten Kreationen vorzuführen.«
    »Eva Braun kommt zu Ihnen in den Salon?«
    Kaum hatte Luise die Frage ausgesprochen, schämte sie sich für ihre Neugier. Ina allerdings schien sich nicht daran zu stören.
    »Wo denken Sie hin! Natürlich fahre ich nach München. Mit einem vollen Schrankkoffer Kleider hin und mit einem halb leeren zurück.«
    Sie lachte glucksend.
    »Die gute Eva kann sich immer nicht entscheiden, wissen Sie. Vorgestern erst war ich dort. Als sie sich in einem Traum von einem Ballkleid vor dem Spiegel drehte, erzählte sie mir, wie glücklich der Führer sei über den Vormarsch der deutschen Truppen in Russland. Moskau werde schon bald fallen, und noch vor dem Wintereinbruch sei alles erledigt.«
    Alle schwiegen. Die Betroffenheit war greifbar, bis Libertas aufsprang und durch den Raum tanzte.
    »Propaganda, alles Propaganda«, sang sie mehr, als sie sprach. »Die dumme Eva fällt doch als Erste darauf rein.«
    Nur Luise hörte, was Ina flüsterte.
    »So dumm ist sie nicht.«
    Der Rest ging im allgemeinen Aufbruch unter.

Sechsunddreißig

    Daut stöhnte auf. Die Schulter schmerzte bei jeder Bewegung. Er sollte sie kühlen, aber Rudat ließ ihn nicht gehen. Wie oft hatte er die Geschichte seiner Begegnung mit dem Unbekannten in der Laubenkolonie jetzt schon erzählt? Zehn Mal bestimmt. Ein junger Mann, groß, schlank, durchtrainiert. Zumindest konnte er rennen. War er der S-Bahn-Mörder? Manches

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