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Codewort Rothenburg

Codewort Rothenburg

Titel: Codewort Rothenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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sprach dafür. Wer hielt sich sonst nachts in der Kolonie auf. Vor allem: Wer rannte weg, sobald ein Polizist hinter ihm her war. Aber wusste er überhaupt, dass Daut von der Polizei war? Wahrscheinlich schon. Der Einsatz in der Laube war nicht geräuschlos verlaufen. Zu viele Autos, zu viele Beamte. Da konnte man nervös werden. Andererseits sprach auch einiges dagegen. Der S-Bahn-Mörder hatte sich nach der Tat nie in der Nähe des Tatorts aufgehalten. Die Gefahr, entdeckt zu werden, war viel zu groß. Daut beschäftigte vor allem die Frage, ob und ‒ wenn ja ‒ wo und in welchem Zusammenhang er den Mann schon einmal gesehen hatte. Er hatte niemandem davon erzählt, denn er war sich nicht sicher. Dazu hatte er in den letzten Tagen zu viele Akten gewälzt, zu viele Fotos gesehen. Und zu viel erlebt. Sein Hirn spielte verrückt. Es kam ihm vor, als halluziniere er. War er tatsächlich in diesem Bordell gewesen? Er verdrängte den Gedanken, was ihm seltsam schwerfiel.
    »Mensch, Axel, du musst dich doch genauer erinnern. Du bist ein schlechterer Zeuge als ein halbblinder Rentner, der den Einbrecher genau vor der Nase hatte.«
    »Verdammt noch mal, Rösen. Der Kerl hat mir seinen Fuß vor die Schulter gerammt. Ich habe sein Gesicht nur für einen Sekundenbruchteil gesehen. Das war’s.«
    Daut stand auf uns setzte sich sofort wieder mit schmerzverzerrtem Gesicht.
    »Ist ja schon gut!«
    Rösen ging zum Rollschrank und holte die Flasche Cognac hervor, die dort für Notfälle wie diesen stand. Er goss zwei Gläser großzügig voll und ging zurück zum Schreibtisch.
    »Hier, trink!«
    Daut nahm das Glas und setzte es an die Lippen. Auch Rösen nahm einen kräftigen Schluck.
    »Macht auch nichts, wir finden ihn ohnehin.«
    Daut ging um den Schreibtisch und setzte sich auf den Besucherstuhl.
    »Die Kriminaltechnik hat den Fußabdruck identifiziert. Herrenschuh, Marke Salamander Fußarzt, Größe vierzig.«
    Daut stöhnte auf.
    »Hast du eine Ahnung, wie viele es davon in Berlin gibt?«
    Er hob seinen linken Fuß und grinste Rösen an.
    »Du auch?«
    Daut nickte.
    »Wie Tausende andere in dieser Stadt vermutlich.«
    Sie tranken schweigend ihren Weinbrand. Daut sehnte sich nach einem Bett. Daraus wurde nichts, denn ein Uniformierter öffnete die Tür und stellte einen Karteikasten auf den Schreibtisch.
    »Kleiderkarten«, war das einzige Wort, das er herausbrachte. Als er die fragenden Gesichter von Daut und Rösen sah, ergänzte er: »Schuhkäufer.«
    Rösen zog den Kasten zu sich und ließ die Finger über die Karten gleiten. Dann sprang er auf und schob Daut die Kiste zu.
    »Fang schon an. Ich muss erst für kleine Kommissare.«
    Daut zog die erste Karte heraus. Rudats Idee war bestechend. Sie würden alle Männer überprüfen, die in den letzten Monaten Schuhe gekauft hatten. Natürlich war das eine Sisyphosaufgabe, aber sie hatten keine andere Chance, auch wenn sie Monate brauchen würden. Selbst wenn sie sich auf die Männer nur aus Lichtenberg und Umgebung beschränkten, kämen zwanzigtausend infrage. Sie würden sich die Schuhsohlen ablaufen, um den Mann zu finden, der in der Mordnacht direkt neben dem Opfer gestanden hatte. Dabei war nicht mal sicher, ob er der Täter war. Sie konnten nur hoffen, dass ihnen wieder mal Kommissar Zufall zu Hilfe kam. Daut las die erste Karte. Niete, keine Salamanderschuhe. Er hatte die Karte gerade abgelegt, als Rösen zurückkam.
    »Es gibt übrigens noch eine Tote«, sagte er lapidar, als handele es sich um eine völlig unbedeutende Mitteilung.
    »Wurde vor drei Stunden aus dem Kanal gefischt.«
    »Noch ein Opfer des S-Bahn-Mörders?«
    »Nee, sieht nicht danach aus. Die Prinz-Albrecht-Straße hat übernommen, ist also nicht unser Ding.«
    Tote im Landwehrkanal und Gestapo - das passte. Jeder wusste, dass man in den Verhörräumen der Prinz-Albrecht-Straße nicht zimperlich war. Da kam es schon mal zu Unfällen, manche mit Todesfolge. Gerne entsorgte man die Leichen in der Spree oder im Kanal, so munkelte man zumindest. Daut war neugierig. Wenn es einen Mord gab und man sie nicht informierte, war da etwas faul. Er stand auf, was sofort den stechenden Schmerz in der Schulter aufflammen ließ. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, sagte er: »Ich muss dann auch mal«, und verließ den Raum. Statt zur Toilette ging er nach unten zur Zentrale und ließ sich die eingegangenen Fälle zeigen. Er fand die Akte schnell, sie war bereits mit dem Vermerk »keine weitere Veranlassung«

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