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Codewort Rothenburg

Codewort Rothenburg

Titel: Codewort Rothenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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allerletzter Minute entkommen.«
    Luise rückte einen Zentimeter von Erna ab, was sie sofort bedauerte. Deshalb sagte sie mit warmer, leiser Stimme:
    »Bevor ich zusage zu helfen, möchte ich genau wissen, was er getan hat.«
    »Das ist dein gutes Recht. Ich werde dir alles erzählen, wenn es so weit kommen sollte. Aber vertrau mir. Im Moment ist es besser, du weißt nicht zu viel.«
    Erna verschwieg ihre Sorge, Luise könnte selbst bereits im Visier der Polizei sein. Dabei lag es nahe, ihr Mann arbeitete schließlich bei dem Verein, der ihren Albert jagte. In diesen Zeiten traute niemand dem anderen. Bei der Polizei war es mit Sicherheit genauso. Viele Kollegen bespitzelten einander. Nein, die Gefahr war zu groß. Erst musste alles erledigt sein.
    Luise schluckte. Sie spürte das Misstrauen der Freundin. Es gab ihr einen Stich, obwohl sie glaubte, es zu verstehen.
    »Was kann ich denn überhaupt tun?«
    »Morgen sind seine Papiere fertig. Der Pass, die Fahrkarte, alles. Wir brauchen jemanden, der es ihm überbringt.«
    »Warum ich? Warum macht ihr es nicht selbst?«
    »Ich will ehrlich zu dir sein, Luise. Gustav und ich kennen viele Menschen, die bereit sind, ihr Leben für ein besseres Deutschland zu geben. Und wir sind alt und schwach. Wir wissen nicht, ob wir die Folter ertragen könnten, die uns droht, wenn wir erwischt werden. Wir haben Angst zu versagen - und das könnte vielen anderen das Leben kosten.«
    »Warum glaubt ihr, dass ich nicht reden werde?«
    »Gewissheit gibt es nicht, Luise, zumal sie dich mit deinen Kindern unter Druck setzen können. Aber du weißt nicht viel von uns. Du kennst nur wenige, und von den meisten weißt du nicht einmal, wie sie heißen, wo sie leben, was sie tun.«
    »Aber ich kann Gustav und dich verraten, und dann ist doch nichts gewonnen, oder?«
    »Vielleicht, meine Liebe, aber bei dem, was wir tun, ist nichts ohne Risiko. Mag sein, wir sorgen uns völlig umsonst, und niemand weiß von Albert. Es ist deine Entscheidung, Luise. Wir werden dich nicht drängen. Morgen früh werden wir wissen, was zu tun ist.«

Achtunddreißig

    »Wir haben ihn!« Der Ruf drang durchs Treppenhaus und wurde von Büro zu Büro weitergetragen.
    »Wir haben ihn!« – »Wir haben den Kerl, der den Fußabdruck neben der Leiche hinterlassen hat.« - »Das war’s mit dem S-Bahn-Mörder. - Endgültig.«
    Was für eine Euphorie. Wie oft hatte Daut schon erlebt, dass sie verfrüht war, dass sich scheinbar sichere Indizienbeweise in Luft auflösten. Aber wer wollte den Männern ihre Begeisterung verdenken? Ihm war es egal. Er hatte andere Probleme. Ihm ging die Tote aus dem Kanal nicht aus dem Kopf. Warum musste Marianne sterben? Sie hatte ihn ins Vertrauen gezogen, sicher. Sie war unvorsichtig. Über Göring machte man besser keine Witze, schon gar nicht Fremden gegenüber. Andererseits waren sie allein im Zimmer, und sie hatte ihm vertraut. Schließlich war er Polizist. Sie gehörte zu Schellenbergs Agentinnen im Salon, das war klar. Sie hatte also ein Protokoll über ihr Zusammensein mit ihm geschrieben. Konnte sie so dumm gewesen sein, ihr Gespräch über den Reichsmarschall zu erwähnen? Daut verwarf diesen Gedanken sofort. Marianne war eine kluge Frau. Mochte sie noch so loyal sein, sie hätte sich selbst deshalb noch lange nicht ans Messer geliefert. Wer oder was hatte sie verraten? In Daut keimte ein schrecklicher Verdacht auf. Das konnte nicht sein! Oder doch? War in diesen Zeiten nicht alles möglich? Er musste es wissen. Draußen war es bereits dunkel, aber wenn er recht hatte, spielte es keine Rolle, dass die meisten Polizisten längst daheim bei Frau und Kind saßen. In diesem Fall käme er jetzt gerade zur richtigen Zeit.
    Daut hasste die U-Bahn, doch heute blieb ihm nichts anderes übrig. Rösen war mit dem Auto unterwegs, Daut hatte nicht verstanden, wohin. Er hatte auch nicht nachgefragt, es interessierte ihn nicht. Zum Glück war das Gedrängel auf dem Bahnsteig und im Waggon erträglich. Nur die Luft war zum Schneiden, roch nach Schweiß und Kloake.
    Am Bahnhof Zoo verließ Daut den Zug und stieg aus der Unterwelt nach oben. Er nahm gerade den zweiten, tiefen Zug frischer Luft, als die Sirenen losheulten. Voralarm. Dabei wird es bleiben, dachte er. So wie meistens in den vergangenen Wochen. Die Menschen wurden in Angst und Schrecken versetzt, und nichts passierte, allenfalls hörte man aus der Ferne das Dröhnen der englischen Bomber. Trotzdem beschleunigte Daut seine Schritte. Er war

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