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Codewort Rothenburg

Codewort Rothenburg

Titel: Codewort Rothenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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versehen.
    Er schlug sie auf, und als er das Foto sah, stockte ihm augenblicklich der Atem. Das Gesicht der Frau war zwar zertrümmert, aber er erkannte sie trotzdem sofort. Das Muttermal auf der linken Brust. Er hatte mit dem Finger die Form nachgezeichnet und gesagt: »Wie ein Schmetterling.«
    Sie hatte gelacht.
    »Was glaubst, mein Süßer, der wievielte du bist, der mir das sagt?«
    Dann hatte sie ihr Champagnerglas genommen.
    »Der kleine Flieger hat Durst.«
    Er hatte das prickelnde Nass begierig aufgeleckt.
    Daut wurde schlecht. Er schaffte es gerade noch zur Toilette, bevor er sich übergab.

Siebenunddreißig

    Bis auf Luise waren alle schon gegangen. Erna hatte sie gebeten, noch zu bleiben.
    »Wie geht es dir, Luise?«
    Wie sie sich fühlte? Luise fehlte ein Begriff dafür. Elendig? Sicher. Vor allem aber zur Tatenlosigkeit verdammt. Die Welt um sie herum schien in Auflösung, und sie schaute zu. Sie war die geborene Betrachterin und nicht die Akteurin. So hatte sie sich jedenfalls bisher gesehen, aber vielleicht ließ sich das noch ändern, und sie konnte mehr tun, als nur Flugblätter zu verteilen. Sie war noch nicht zu alt dafür, in dieser Hinsicht war ihre Freundin Erna das beste Beispiel. Wenn sie über diese Fragen nachgedacht hatte - und sie hatte viel gegrübelt in den letzten Tagen -, kroch die Angst in ihr hoch. Schon der Gedanke an den Stapel Papier im Kleiderschrank ließ ihre Hände feucht werden. Dabei war er unbedruckt. Harmlos. Ungefährlich. Doch was war ungefährlich in diesen Zeiten?
    Erna legte Luise die Hand auf den Arm und holte sie aus ihren Gedanken.
    »Alles in Ordnung, Erna, mach dir keine Sorgen.«
    »Gut! Wir brauchen dich nämlich.«
    Das Erstaunen in Luises Gesicht war nicht zu übersehen. Wer brauchte sie? Und wofür? Erna sah sie einen Moment an, ehe sie beide Hände der Freundin ergriff.
    »Du erinnerst dich, dass wir über den jungen Mann gesprochen habe, der vor Kurzem bei einem Eintopfsonntag zu Gast war?«
    »Meinst du den schlanken Schönling, den ihr euer Sorgenkind genannt habt?«
    Erna Neeb schmunzelte. War Albert ein Schönling? So hatte sie ihn nie gesehen. Aber er war ohne Zweifel auf eine besondere Weise hübsch. Nicht so, dass die Mädchen auf ihn flogen, aber auf reifere Frauen wie Luise übte er mit seiner Jungenhaftigkeit eine Faszination aus. Er löste Mutterinstinkte aus.
    »Genau den meine ich. Du hattest nach ihm gefragt, und heute ist es Zeit, dass du erfährst, wer er ist. Er heißt Albert, und er ist so etwas wie mein Sohn.«
    Luise konnte ihr Erstaunen nicht verbergen.
    »Und was hat er getan?«
    »Er hat einen Menschen getötet.«
    Luise war schockiert. Erna sprach das so gelassen aus, als rede sie darüber, dass es keine Kartoffeln zu kaufen gab.
    »Du wirst es verstehen, Luise, wenn du seine Geschichte kennst.«
    Und dann erzählte Erna von dem Jungen, der erst katholisch getauft, dann jüdisch beschnitten und schließlich als Christ aufwuchs, eher er zum Sozialisten wurde. Sie erzählte alles, einschließlich des Attests von Professor Weberknecht. Als sie fertig war, schwiegen beide Frauen eine Weile. Schließlich sagte Luise:
    »Du hast gesagt, er hat getötet. Also ist er ein Mörder.«
    »Nein, das ist er nicht!«, rief Erna deutlich zu laut und zu barsch. Sie riss sich sofort zusammen und ergriff Luises Hand.
    »Tut mir leid, aber Albert ist wie mein Sohn. Mord ist eine Tat aus Niedertracht und Habgier. Albert tötete, um sein Leben zu retten. Er handelte aus Notwehr. Die wahren Verbrecher sind die, die ihn zu dieser Tat trieben, indem sie aus einer Religion eine Rasse machten, die sie für alles Übel in der Welt verantwortlich machen. Es gibt keine jüdische Rasse, Luise, und auch keine arische. Das alles ist eine Erfindung der Nazis. Albert ist Deutscher wie du und ich. Frag deinen Mann, wie viele Juden an seiner Seite im Weltkrieg im Schützengraben lagen.«
    »Was hat er genau getan?«
    Erna spürte den Drang, der Freundin alles zu erzählen. Endlich einmal das Leid nicht nur mit Gustav zu teilen, wäre wie eine Erlösung. Aber es war zu früh. Sie musste vorsichtig sein, durfte nicht im Überschwang der Gefühle alles aufs Spiel setzen.
    »Du wirst alles erfahren, Luise. Später.«
    »Ihr wisst, wo er sich versteckt?«
    »Ja. Und wir werden dafür sorgen, dass er Deutschland verlassen kann. Womöglich brauchen wir deine Hilfe. Sie sind ihm auf den Fersen. In der letzten Nacht hätten sie ihn beinahe erwischt, er konnte ihnen nur in

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