Codex Alera 06: Der erste Fürst
erhalten, die ich als ganz verlässlich einschätze.«
»Wir wissen, dass meine Schwester und Araris noch am Leben sind«, murmelte Bernard.
Fürstin Placida riss die Augen auf. »Glaubt ihr, dass Isana dahintersteckt?«
»Ich halte es für durchaus möglich«, sagte Amara. »Die Geschichte, wie Isana Araris vor der Garicvergiftung gerettet hat, hat sich weit herumgesprochen. Wenn Invidia glaubt, dass Isana sie womöglich vor der Vergiftung retten könnte wie einst Araris, dann könnte sie durchaus planen, die Vord zu verraten. Sie ist entschlossen und sehr intelligent.«
»Würde Isana so etwas tun?«, fragte Placida.
»Das spielt keine Rolle«, sagte Amara. »Wichtig ist nur, dass Invidia glaubt , dass sie es kann. Wie auch immer die Wahrheit aussieht, es scheint, als ob Invidia glaubt, dass ihr ein rettender Strohhalm hingestreckt worden ist.«
Fürst Antillus gelang es, einem Gutteil seiner Skepsis mit einem tiefen Brummen Ausdruck zu geben.
»Ich weiß«, sagte Amara. »Sie ist eine Intrigantin. Aber es ist möglich, dass sie glaubt, sie könnte ihren Weg aus dieser Lage hinausintrigieren. Es wäre schließlich nicht das erste Mal. Wenn das der Fall ist – wenn sie uns die Wahrheit über den nächsten Angriff sagt«, fuhr sie fort, »dann hat sie wahrscheinlich auch tatsächlich vor, uns zur Vordkönigin zu bringen.« Sie runzelte die Stirn. »Und da ist noch etwas. Etwas, das sie vielleicht wirklich unwillkürlich verraten hat. Sie hat gesagt, dass der Princeps bald für niemanden mehr von Bedeutung sein würde – und sie hat nicht von Attis gesprochen.«
Im Zimmer wurde es schlagartig vollkommen still. Die Luft surrte vor knisternder Anspannung.
»Ich glaube, Octavian ist in der Nähe«, sagte Amara.
»Wenn Invidia oder die Königin ihn angreift, ist er so gut wie tot«, sagte Phrygius. »Er verfügt erst … wie lange über seine vollen Fähigkeiten? Doch höchstens seit einem Jahr. Und das ohne geregelte Ausbildung? Er kann unter keinen Umständen genug Techniken erlernt haben, um sie nun anzuwenden. Und wie viele andere kann er denn überhaupt bei sich haben, wenn er vor … ungefähr einer Woche in Antillus gelandet ist? Wie viele Ritter Aeris waren in der Ersten Aleranischen Legion?«
»Sechsundzwanzig«, sagte Placida ruhig. »Und dein Sohn, Raucus.«
Raucus sagte nichts, aber sein Gesichtsausdruck war trostlos.
»Er muss versuchen, sich zu uns durchzuschlagen«, sagte Phrygius. »Eine kleine Gruppe, die sich schnell bewegen kann und für seinen unmittelbaren Schutz sorgt, eine, die vielleicht unter Schleiern fliegt, wenn er gut genug dafür ist. Es ist die einzig einleuchtende Erklärung.«
Placida nickte. »Und wenn sie schon davon reden, ihn aufzustöbern, ist er wahrscheinlich so nahe, dass die Königin ihn angreifen kann.«
»Nein«, sagte Bernard leise mit fester Stimme. »Sie ist so nahe, dass er sie angreifen kann, gnädiger Fürst.«
»Wenn die Königin Invidia überlegen ist, dann ist sie auch Octavian überlegen«, sagte Phrygius, »so einfach ist das. Er ist kaum mehr als ein Junge.«
»Er hat die Pläne von Invidia und Attis hintertrieben, als er wirklich noch ein Junge war«, knurrte Bernard und sah Phrygius in die Augen. »Ich bezweifle, dass er vorhat, ihr im Ringkampf in einer Duellarena gegenüberzutreten. Du wärst ein Narr, wenn du ihn leichtfertig abtun wolltest, gnädiger Fürst.«
Phrygius kniff die Augen zusammen, und sein Bart sträubte sich.
Raucus legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ganz ruhig, Junge. Mach aus dem, was er gesagt hat, nicht mehr, als es ist. Was, wenn ich so von deinem Sohn reden würde, hm?«
Fürst Phrygius stand noch einen Moment länger steif da und neigte dann den Kopf vor Bernard. »Er ist von deinem Blute. Ich habe nicht nachgedacht, bevor ich gesprochen habe. Bitte entschuldige.«
Bernard nickte.
»Schweift nicht ab«, sagte Fürstin Placida. »Wir können nicht wissen, was wir wegen Octavian unternehmen müssen, bevor wir ihn finden oder er Kontakt zu uns aufnimmt. Es ist möglich, dass er es so will. Wir können auch nicht wissen, ob Invidia vorhat, uns im letzten Moment zu verraten. Aber wenn wir einmal davon ausgehen, dass sie uns die Wahrheit sagt … Dann ist die einzige Frage doch diese: ob wir uns im vollen Bewusstsein der Tatsache, dass es eine Falle sein könnte und wir vielleicht in den Tod gehen, auf sie einlassen. Was das betrifft: Wir könnten sogar, wenn sie aufrichtig ist, durchaus sterben.«
Raucus
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