Codex Alera 06: Der erste Fürst
Vergiftung war akut, aber nicht so schwer zu überwinden, wie andere es hätten sein können. Die einzige Schwierigkeit bestand für eine Weile darin, deine Atmung aufrechtzuerhalten. Du solltest in der Lage sein, in die Schlacht zu ziehen, wenn es sein muss.«
Tavi nickte langsam. Dann setzte er sich auf und sagte: »Du siehst fürchterlich aus. Ruh dich etwas aus. Die Schlacht steht bevor.«
Dorotea sah wieder zu Crassus hinüber. »Ich lasse ihn nicht allein.«
»Du hast schon gesagt, dass du getan hast, was du konntest«, sagte Tavi sanft. »Und andere Leben werden von dir abhängen. Du wirst dich ausruhen. Das ist ein Befehl.«
Doroteas Augen huschten zurück zu ihm und loderten für eine halbe Sekunde, bevor ihre Mundwinkel sich zu einem langsamen, müden Lächeln hoben. »Du kannst mir keinen Befehl erteilen, Hauptmann. Du bist nicht der Hauptmann der Freien Aleranischen Legion. Meine Befehle erhalte ich von ihm.«
»Aber ich kann ihm Befehle erteilen«, sagte Tavi gereizt. »Verfluchte Krähen, was muss man denn hier tun, damit einem etwas Respekt entgegengebracht wird? Bin ich jetzt der Erste Fürst oder nicht?«
Doroteas Lächeln wurde breiter, und sie neigte den Kopf. »Nun gut, Majestät. Es befinden sich Wachen um das Zelt herum, darüber und wahrscheinlich auch darunter. Auf ein Wort von dir sind sie gleich hier.«
»Danke.«
Tavi wartete, bis sie gegangen war, bevor er vorsichtig aus der Wanne stieg. Er fühlte sich unsicher auf den Beinen, aber nicht schlimmer als bei jeder anderen Gelegenheit, bei der er die Aufmerksamkeit eines Heilers über sich hatte ergehen lassen müssen. Er kletterte ohne Hilfe hinaus und stellte fest, dass saubere Kleider für ihn bereitlagen.
Tavi zog sich an, obwohl es schmerzte, sich in der Hüfte zu beugen. Das seltsame Schwert, mit dem auf ihn eingestochen worden war, hatte eine gleichermaßen seltsame Narbe zurückgelassen, einen steifen Wulst aus beinahe purpurnem Gewebe, in dessen Umgebung die Haut äußerst empfindlich war. Er schlüpfte in seine Hosen und legte sich vorsichtig den Gürtel um die Tunika. Eine kurze Schmerzspitze durchzuckte ihn und ließ ihn die Zähne über plötzlich gefrorenem Atem zusammenbeißen.
Das Bewusstsein, dass ein Blick auf ihm ruhte, ließ ihn sich umdrehen, und er sah, dass Crassus wieder wach und sein Blick aus trüben Augen auf ihn gerichtet war.
»Meine Mutter«, sagte Crassus. »Sie war am Leben. Und du hast es mir n… nicht gesagt.«
Tavi starrte seinen Freund völlig entsetzt an. Es stimmte. Er hatte es ihm nicht gesagt. Antillus Dorotea war gemeinsam mit ihrem Bruder, dem Hohen Fürsten Kalarus, zur Verräterin am Reich geworden. Sie war aufgrund ihrer Begabung im Sklavenaufstand, der auf die Zerstörung von Kalarus gefolgt war, aufgegriffen worden, und niemand hatte gewusst oder auch nur wissen wollen, wer sie war – nur, was sie hatte tun können. Hätte Tavi ihre wahre Identität ans Licht gebracht, hätte ihn das zugleich gezwungen, Anklage gegen sie zu erheben. Noch wichtiger war, dass sie ihn geradezu angefleht hatte, weder ihrem Mann noch ihrem Sohn zu sagen, dass sie überlebt hatte. Da sie in einem Sklavenhalsring gefangen war, der nicht entfernt werden konnte, ohne sie zu töten, traf das in gewisser Weise auch zu. Die Frau, die gegen das Reich intrigiert hatte, würde niemals zurückkehren.
Sie hatte Crassus schon einmal gerettet, als er bewusstlos gewesen war, aber er war während der Prozedur nicht erwacht, und sie war schon fort gewesen, bevor er wieder zu sich gekommen war. Sie verließ das Lager und den Tross der Freien Aleranischen Legion nie und hatte sich in den letzten paar Jahren gewissermaßen gut sichtbar versteckt.
Aber diesmal hatte Crassus sie gesehen.
Crassus’ Augen brannten. »Hast es mir nie gesagt.«
»Sie hat mich gebeten, es nicht zu tun«, sagte Tavi leise.
Crassus kniff die Augen zusammen, als hätte er große Schmerzen. Angesichts seiner Verletzungen war es höchst wahrscheinlich, dass er tatsächlich welche litt – selbst, wenn man alle anderen Überlegungen beiseiteließ. »Lass mich allein, Octavian.«
»Ruh dich aus«, sagte Tavi. »Wir reden, später, wenn dies alles …«
» Raus! «, knurrte Crassus. »Wie konntest du nur? Raus .«
Er sank keuchend wieder zurück und schlief binnen Sekunden ein oder verlor das Bewusstsein.
Tavi setzte sich zitternd auf den Hocker, den Dorotea frei gemacht hatte. Er stützte den Kopf in die Hände und saß einen Moment lang
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