Codex Alera 06: Der erste Fürst
Gefühle war nicht gespielt – und Isana wurde bei der plötzlichen Erkenntnis eiskalt, dass Invidia sich zwar vielleicht dazu hatte bringen lassen, gegen die Königin vorzugehen, aber keineswegs die Absicht hatte, Isana lebendig davonkommen zu lassen. »Ich wollte nie einen Kampf mit dir, Invidia. Alles, was ich je wollte, war, dass meine Familie in Frieden gelassen wird.«
»Behalt es«, stieß Invidia hervor. »Falls du es dir noch anders überlegst.«
Isana sah an der anderen Frau vorbei zur Vordkönigin. Schwarze, fremdartige Augen hatten sich auf sie beide gerichtet. Sie blieben eine ganze Weile auf ihnen ruhen und wandten sich dann kommentarlos wieder der Decke zu.
Invidia spuckte auf Isana. Dann wandte sie sich ab und begann, auf den Ausgang zuzugehen. »Ich nehme an, es gab keinerlei Schwierigkeiten, genug Truppen auf die Klippen zu bringen?«
Die Vordkönigin ignorierte sie.
Isana spürte, wie ein fürchterlicher Verdacht in ihren Gedanken aufzukeimen begann. Die Königin hatte nichts gesagt, als Invidia ihr die Waffe gegeben hatte. Sie hatte zumindest mit einer Bemerkung darüber gerechnet, wie unvernünftig diese Handlungsweise war.
Aber die Königin sagte nichts.
Offenbar hatte Invidia denselben Eindruck gewonnen, aber sie schien ihn beiseitezuwischen. Ihre Schritte wurden für einen Moment langsamer, und sie hielt im Gehen inne, vielleicht, weil sie in irgendeiner Entscheidung schwankte. Dann verengten sich ihre Augen, und ihre Schritte beschleunigten sich wieder. Sie ging zum Eingang des Nests und schleuderte mit einer raschen Handbewegung eine Kugel aus flackerndem rotblauen Licht in die Welt dort draußen.
Das Nest explodierte in Bewegung und Gewalt.
Isana konnte einfach nicht fassen, wie schnell alles plötzlich ablief. Es schien, dass sie sich für einen Augenblick auf absolut alles in ihrem Gesichtsfeld zugleich konzentrieren konnte, ganz gleich, wo es sich befand.
Die Wände des Nests spien eine Horde Wachsspinnen aus, diejenigen, die ständig auf Abruf bereit waren, denen es aber dennoch gelang, die meiste Zeit über verborgen zu bleiben. Damit hatte sie gerechnet. Es machte ihr plötzliches Erscheinen – ganz ledrige, durchscheinende Körper, Beine, Fänge und schwach leuchtende Augen – nicht weniger abscheulich und erschreckend, und machte auch ganz gewiss das Gift an ihren Reißzähnen nicht weniger gefährlich. Aber wenigstens hatte sie sie erwartet.
Womit sie nicht gerechnet hatte, waren die vier Kreaturen, die einfach aus der Decke gefallen kamen und auf den ersten Blick aussahen wie … Sie war sich nicht sicher wie was. Wie irgendeine Art bizarre Elementarlampenfassung vielleicht. Sie waren im Grunde Kugeln, mit glänzenden Stahlklingen, die in Kämmen von der inneren Oberfläche jedes Balls abstanden, auf glatte Art schön – bis die Körper der Gestalten sich mit zierlicher Anmut zu den langen Beinen von Kreaturen zu entfalten begannen, die Wachsspinnen ähnelten, aber zehn Mal so groß waren und an den Beinen Klingen aus elementargewirktem Stahl trugen.
Vord. Die aus Stahl bestanden. Isana war sich ziemlich sicher, dass das Invidias Plänen nicht entgegenkam.
Invidia fuhr herum, als die erste Welle von Wachsspinnen sie ansprang. Ihre Hand zuckte, als wollte sie nach ihrem Schwert greifen, änderte dann aber die Richtung und beschrieb mit gespreizten Fingern einen Bogen. Blauweißes Feuer brach in einem fast flüssigen Schauer aus ihrer offenen Hand hervor, spritzte auf die springenden Spinnen, haftete an ihnen wie heißes Öl und sorgte dafür, dass sie sich zu Klumpen aus brennendem, geschrumpftem Fleisch zusammenrollten. Binnen eines Augenblicks waren zwei Dutzend der springenden Wesen zerstört – aber es strömten weit mehr als diese zwei Dutzend auf die verbrannte Frau zu. Sie schwang lässig ein Bein in die Luft, trat eine springende Spinne beiseite, und führte Absatz und Fuß dann in gerader Linie mit einem Aufschrei nach unten, eine Elementarwirkbewegung, die einen heftigen Ruck durch die Erde gehen ließ, der sich wellenförmig von ihrem Fuß ausbreitete, kleine wie große Spinnen gegeneinander stolpern und über den Boden purzeln und zugleich Staub und Kies aus den Löchern in der Decke rieseln ließ, aus denen die großen Spinnen gefallen waren.
Sie purzelten alle, bis auf eine. Eine der riesigen, klingenbewehrten Spinnen hatte sich schon in die Luft geworfen, bevor die Erschütterung sie aus dem Gleichgewicht bringen konnte, und zwei ihrer
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