Codex Alera 06: Der erste Fürst
Jungen, der einen guten Streich plant. »Wusstest du«, fragte er, »dass Alera einen Friedensvertrag mit den Eismenschen geschlossen hat?«
»Hauptmann? Ich habe irgendetwas darüber gehört, aber in der Gerüchteküche einer Legion hört man ja so einiges.«
Tavi nickte. »Kennst du Fürst Vanorius?«
»Ja, ein bisschen. Als ich noch bei Antillus gedient habe, haben wir regelmäßig miteinander gesprochen, immer über Legionsangelegenheiten.«
»Geh zu ihm«, sagte Tavi. »Wir brauchen Holzwirker. Ich will, das jeder Ritter Flora, jeder Civis, der holzwirken kann, und alle aus Antillus, die beruflich mit Holz arbeiten, sich bis Sonnenaufgang in diesem Lager melden.«
»Hauptmann?«, fragte Marcus. »Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich das verstehe.«
»Ach ja?«, sagte Octavian, und dieses Lächeln erwachte noch einmal zum Leben, wenn auch nur kurz. »Und ich bin mir ziemlich sicher, dass du es nicht tust.«
»Holzwirker.«
»Ja«, sagte der Hauptmann.
Marcus zog misstrauisch eine Augenbraue hoch, während er die Faust ans Herz hob, um zu salutieren. »Was soll ich Vanorius sagen, wenn er fragt, wozu du sie brauchst?«
»Einsatzabsicherung«, sagte der Hauptmann. »Und wenn das nicht reicht, setz ihn darüber in Kenntnis, dass es als Verrat gilt, in Kriegszeiten einen gesetzmäßigen Befehl der Krone zu verweigern.« Seine Augen blickten härter. »Ich spreche hier keine Bitte aus.«
»Zu Befehl, Hauptmann«, sagte Marcus.
Vor dem Zelt rief ein Wachtposten jemanden an, und eine grollende Bassstimme antwortete knurrend. Einen Augenblick später blickte eine der Wachen ins Zelt und sagte: »Zwei Boten von den Canim, Hauptmann.«
Octavian nickte und machte eine einladende Handbewegung. »Führ sie bitte herein.«
Marcus kannte die beiden Canim nicht, die kurz darauf das Zelt betraten und sich etwas duckten, um nicht mit den Ohren die Decke zu streifen. Einer, ein Raubein mit dunklem Fell, war in eine abgenutzte alte Kriegerkastenrüstung gehüllt, der zwei oder drei Teile fehlten. Der andere, ein hagerer Geselle mit goldenem Pelz und Knopfaugen, trug den Brustpanzer aus vernietetem Stahl, der zur Standardrüstung der mittlerweile kampferprobten Canimmiliz geworden war.
Schlagartig überkam den Ersten Speer eine recht bestürzende Erkenntnis. Varg hätte nie einen Krieger Botendienste leisten lassen, schon gar keinen, der ein so schlampiges Äußeres wie dieser hier hatte. Und der Cane mit dem goldenen Fell war höchstwahrscheinlich ein Shuaraner, da das die einzigen Canim mit dieser Fellfarbe waren. Die Canim aus Shuar aber waren nicht mit Sarls Invasionsarmee nach Alera gekommen. Sie hatten Canea nie verlassen. Deshalb konnten sie auch nicht Nasaugs kriegserfahrener Miliz beigetreten sein – und ein Cane, der sich fälschlich als Mitglied in ihren Reihen ausgegeben hätte, hätte genauso gut gleich darum bitten können, in Stücke gerissen zu werden. Der Stolz der Canim war wild, eifersüchtig und entschieden blutig.
Vielleicht hätte ein Krieger in ungepflegter Rüstung auf einen Botengang geschickt werden können. Vielleicht war der Cane mit dem goldenen Fell schon die ganze Zeit in der Miliz, und seine Gegenwart war einfach nur keinem Aleraner aufgefallen. Beides war möglich, wenn auch nicht wahrscheinlich.
Aber beides auf einmal?
Marcus kratzte sich mit der Fingerspitze an der Nase, und als er die Hand wieder senkte, kam sie einen Zoll von seinem Schwertgriff entfernt zu ruhen. Er warf Octavian einen raschen Blick zu und hoffte, ihn so zu warnen.
Das wäre nicht nötig gewesen. Der Hauptmann war offensichtlich zu denselben Schlüssen gelangt wie Marcus, und obwohl er äußerlich ruhig blieb, hakte er verstohlen einen Daumen in seinen Gürtel ein und brachte seine Hand so sehr nahe an das Heft des Dolchs, dessen Scheide er im Kreuz trug.
»Guten Morgen«, sagte Octavian höflich und legte den Kopf sehr leicht schief, der Gruß eines Höhergestellten an Untergebene. »Habt ihr Herren irgendetwas für mich?«
Der gerüstete Cane schlurfte ein paar Schritte vorwärts und griff in einen Beutel, den er bei sich trug.
Als seine Pfotenhand wieder daraus hervorkam, hielt sie ein Steinmesser umklammert. Der gerüstete Cane brüllte auf Canisch: »Ein Volk!«
Und er schlug nach der Kehle des Hauptmanns.
Marcus spürte, dass ihm das Herz bis zum Hals schlug. Der Hauptmann war ein ernstzunehmender Gegner, wenn er sein Metallwirken einsetzte, aber diese Fähigkeit würde ihm gegen eine Steinwaffe
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