Codex Mosel
Provinz hängen zu bleiben.«
»Und nach Trier ist er gewiss auch nicht zurückgefahren«, stellte Grabbe fest. »Bleiben also nur Brüssel und Metz.« Er kehrte an die Abfahrtstafel zurück. »Zu beiden Zielen gehen ja eine Menge Züge! Der nächste nach Brüssel fährt in einer Viertelstunde ab, und zwanzig Minuten später wieder einer nach Metz.«
»Da sollten wir ein genaues Augenmerk drauf haben«, sagte Theis, trat an die Anzeigentafel und strich mit seinem nikotingelben Finger ebenfalls über das Glas.
»Es sind aber schon einige nach neunzehn Uhr in diese Richtung gegangen«, sagte Grabbe. »Und ganz auszuschließen ist es nicht, dass Nummer eins durch die Kontrollen geschlüpft ist. Da sind doch bestimmt überall Schaffner in den Zügen. Besteht vielleicht die Möglichkeit, denjenigen Zügen, die noch unterwegs sind, ein Foto zu übermitteln?«
»Wir können es ja mal in der Bahnhofsverwaltung versuchen.«
Walde und Grabbe beobachteten, wie Theis in einer Tür neben den Fahrkartenschaltern verschwand.
*
Bernard wachte vom Schleifen der Räder auf. Die Packung mit den Keksen rutschte von seinem Schoß. Für einen Augenblick wusste er nicht, ob er träumte. Draußen am Bahnsteig sausten die Konturen von Menschen vorbei. Der Zug kam zum Stehen. Die Türen wurden geöffnet. Er hörte Schritte auf den Metallstufen. Neue Fahrgäste kamen am Abteil vorbei, blickten herein, gingen allein oder zu zweit weiter, zogen Koffer, Tiere, Kinder hinter sich her.
Auf der Bank gegenüber schlief der Junge, an seine Großmutter gelehnt. Sie lächelte Bernard an. Das gleichmäßige Rollgeräusch ließ ihn erneut wegdösen.
*
Fünf Minuten später tauchte Theis wieder auf. Die Zeichnungen waren per Mail an die Züge geschickt worden. Das Zugpersonal sollte die Fahrgäste diskret beobachten, aber keinesfalls selbst die Initiative ergreifen.
»Falls der Verdächtige erkannt wird, kriegen wir umgehend Bescheid«, sagte Theis.
»Und dann?«, fragte Grabbe.
»Ein Hubschrauber ist startbereit.«
Grabbe lachte kurz auf und konnte nach einem Blick in Theis’ ernstes Gesicht sein Erschrecken nicht verbergen. »Da muss ich aber nicht mit, oder..?«
*
Bernard schlug die Augen auf. Draußen zogen die Fabriken und Einkaufszentren der Vorstadt vorüber. Der Junge stand mit dem Paket unter dem Arm an der Abteiltür. Seine Großmutter lud sich im Sitzen den Rucksack auf. »Wir sind gleich in Metz.«
»Ich helfe Ihnen.« Bernard stand auf. Er schob die Abteiltür zur Seite und ließ dem Jungen den Vortritt auf den Gang, wo bereits weitere Reisende mit Gepäck Richtung Ausgang unterwegs waren. Die Frau folgte ihm. Im Abteil blieb nur Bernards Trolley zurück.
Als sie die übrigen Fahrgäste auf dem Gang bemerkte, sagte die Frau: »Wir werden abgeholt, vielen Dank. Die paar Meter schaffe ich alleine.«
Bernard stellte den Koffer am Ende der Warteschlange ab, die sich an der Waggontür gebildet hatte und schob sich an der Französin vorbei, die ihm gute Reise wünschte.
In Metz stiegen mehr Fahrgäste zu, als Bernard erwartet hatte. In dem Moment, als zwei junge Männer mit sperrigen Taschen in sein Abteil traten, ging ein Rucken durch den Zug, als würden weitere Waggons angekoppelt. Es dauerte einige Minuten, bis der Zug den Bahnhof wieder verließ.
Die beiden jungen Männer hatten auf der Bank gegenüber von Bernard Platz genommen. Sie unterhielten sich über die an diesem Wochenende in der ersten französischen Liga anstehenden Fußballspiele. Ein Gemisch aus Rauch und Weinfahne breitete sich im Abteil aus.
Kaum hatte der Zug volle Geschwindigkeit aufgenommen, tauchte vor den Fenstern eine Häuserreihe auf, und der Zug lief bremsend in einen Bahnhof ein, um nach kurzem Stopp wieder loszufahren.
Bernard war erleichtert, als der Schaffner die Tür öffnete und frische Luft vom Gang ins Abteil drang. Nachdem der Zugbegleiter den beiden neu Zugestiegenen die Fahrkarten zurückgegeben hatte, verließ er das Abteil. Beim Zuschieben der Tür fiel sein flüchtiger Blick auf Bernard. Obwohl der größte Teil des Gesichts durch den Haarschleier verdeckt war, nahm Bernard den Schreck des Mannes in der blauen Uniform wahr, bevor dieser in Fahrtrichtung verschwand.
Bernard überlegte kurz. Nach zehn Sekunden stand er auf. Draußen im Gang war niemand zu sehen. Er folgte dem Schaffner, konnte ihn aber in den angrenzenden Abteilen nicht finden. Bevor er aus dem Zwischenraum in den nächsten Waggon wechselte, sah er an dessen Ende die
Weitere Kostenlose Bücher