Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók
nach Århus zu fahren«, sagte der Professor ohne weitere Erklärungen. »Glaubst du, dass sich das einrichten lässt?«
»Aber du wolltest doch nach Deutschland?«
»Nein«, antwortete der Professor, »nach Århus.«
Ich merkte, dass ihm unsere Begegnung in Lille Apoteket völlig entfallen war; dort hatte er noch davon gesprochen, dass er nach Deutschland müsse, und mich gefragt, ob ich mitkommen wolle. Ich ließ mir nichts anmerken.
»Wonach suchst du?«, fragte ich.
»Ich muss einen Mann finden.«
»Wie heißt er?«
»Das weiß ich noch nicht. Ich hoffe, dass ich es weiß, wenn ich den Namen sehe.«
»Was ist das für ein Mann?«
»Er ist möglicherweise mit der Acturus nach Island gesegelt. Ich erzähle dir später von ihm. Das heißt, wenn ich ihn finde.«
»Und was soll ich dabei tun?«
»Mir helfen«, sagte der Professor. »Mit deinen Augen. Hast du mal solche alten Schiffsbücher gesehen? Sie sind total verschmiert mit Dreck, Fett und Ruß und schwer leserlich.«
»Befinden sie sich in Århus?«
»Im Archiv des Erwerbslebens«, sagte der Professor. » Erhvervsarkivet . Die Acturus war im Besitz der Kopenhagener Reederei C.P.A. Koch, und ich habe in Erfahrung gebracht, dass sich die Schiffsbücher dort befinden. Alle anderen in Frage kommenden Stellen habe ich bereits abgeklappert.« Ich wusste kaum, was ich sagen sollte. Der Professor wartete auf meine Antwort. Ich hatte eigentlich an diesem Wochenende nichts Besonderes vorgehabt, und ich fühlte mich trotz allem, was vorgefallen war, geschmeichelt bei dem Gedanken, dass er mich um Hilfe bat. Wem wurde schon eine solche Ehre zuteil? Das war dann auch der Grund, warum ich nach einigem Überlegen zustimmte. Er sagte, ich solle mich um fünf Uhr am Hauptbahnhof einfinden, der Zug nach Århus ginge eine Viertelstunde später.Wir würden dort übernachten und am nächsten Tag das Archiv besuchen und hoffentlich am Samstagabend wieder nach Kopenhagen zurückkehren.
Ich packte ein paar Sachen in eine kleine Tasche und fand mich zur verabredeten Zeit auf dem Bahnhof ein. Wir stiegen in den Zug, und kurze Zeit später glitt die dänische Landschaft an den Fenstern vorbei. Ich war nie zuvor mit der Eisenbahn gefahren und fand, dass diese Art des Reisens mir ganz besonders zusagte – die Aussicht aus dem Eisenbahnwaggon, der regelmäßige Takt der Räder auf den Schienen, das angenehme Schaukeln und die Zeitlosigkeit, die mit jeder längeren Reise verbunden ist. Unterwegs redeten wir nicht viel miteinander. Der Professor vergrub sich in Papiere, die er dabeihatte, und ich hatte den Roman Das Uhrwerk von Ólafur Jóhann Sigurðsson mitgenommen, der so unterhaltsam und geistreich geschrieben war, dass ich jetzt schon mit großem Bedauern dem Ende der Lektüre entgegensah.
»Du weißt, dass es in Århus eine Straße gibt, die Ole Worms Allé heißt«, unterbrach der Professor plötzlich das Schweigen.
»Das wusste ich nicht«, sagte ich.
»Nein, natürlich nicht«, sagte der Professor. »Wäre es nicht etwas ganz anderes, wenn die Verantwortlichen daheim in Island die Hringbraut nach Brynjólfur Sveinsson benannt hätten? Oder nach unserem Jónas? Diese Leute sind unfähig und unbedarft. Was besagt schon Hringbraut? Was soll das?«
Er starrte mich mit diesem wilden Blick an, den man häufig an ihm beobachten konnte, wenn ihm etwas entsetzlich auf die Nerven ging, aber ich konnte ihm auch keine Antwort auf diese Fragen geben und zuckte nur mit den Achseln. Daraufhin vertiefte er sich wieder in seine Unterlagen.
Die Dunkelheit war hereingebrochen, als wir bei unserer kleinen Pension in der Vester Allé eintrafen, ganz in der Nähe des Archivs. Herr Mortensen und seine Frau, ein freundliches Ehepaar ungefähr im gleichen Alter wie der Professor, betrieben die Pension. Er schien bereits früher dort übernachtet zu haben, denn die beiden kannten ihn und begrüßten ihn herzlich. Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile, aber ich ging zu Bett und schlief tief und fest, bis mich der Professor am nächsten Morgen weckte. Nach einem guten Frühstück mit den Mortensens und zwei weiteren Pensionsgästen machten der Professor und ich uns auf den Weg zum Archiv, das auch samstags den ganzen Tag geöffnet hatte. Wir trugen unser Anliegen einer freundlichen jungen Frau vor, die sich sogleich auf die Suche nach den Unterlagen aus dem Besitz der Reederei C.P.A. Koch machte. Eine halbe Stunde später kam sie zurück und erklärte, eine ganz Menge Dokumente gefunden
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