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Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Titel: Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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fragte der Mann und richtete sich wieder auf.
    »Sie hat mich um Hilfe gebeten«, erklärte der Professor.
    »Sie hat ausgesagt, dass du sie in deinem Büro versteckt hast.«
    »Das ist richtig. Dann ist sie aber verschwunden, und ich habe sie erst vorhin wiedergesehen.«
    »Du gibst also zu, ihr geholfen zu haben?«
    »Ja.«
    »Darauf steht die Todesstrafe, ist dir das klar?«
    »Nein«, sagte der Professor, »das wusste ich nicht.«
    »Oder KZ. Wenn du mich fragst, ist der Tod wahrscheinlich die angenehmere Alternative, dann ist es schneller vorbei.« Der Professor schwieg.
    »Wer ist da sonst noch in der Widerstandsbewegung an der Universität?«
    »Ich weiß von niemandem«, antwortete der Professor.
    »Mit wem hast du am meisten zu tun?«
    »Ich kenne niemanden, der in der Widerstandsbewegung ist. Ich glaube, das ist mit Absicht so organisiert. Man soll überhaupt nichts wissen.«
    Der Mann sah ihn lange an. Der Professor starrte vor sich hin. Man hatte ihm Hände und Füße mit Lederriemen am Stuhl festgebunden.
    »Kannst du Schmerzen ertragen?«, fragte der Mann.
    Der Professor antwortete nicht darauf. Er begriff die Frage nicht. Der Mann wiederholte sie.
    »Kannst du Schmerzen ertragen?«
    »Ich … Ich weiß es nicht«, sagte der Professor.
    »Unser Kurt hier«, erklärte der Mann, indem er auf seinen Handlanger deutete, »er kann das für dich herausfinden. Kurt ist unser Experte in Sachen Schmerz. Er hat einmal einen Mann dazu gebracht, sich eine Kugel durch den Kopf zu jagen, nur um ihm zu entkommen.«
    Der Professor blickte auf den Mann, der Kurt hieß. Der hatte sich völlig im Hintergrund gehalten, lehnte lässig an der Wand und schien sich zu langweilen. Er war um die fünfzig und ziemlich aufgedunsen. Der Mann, der das Verhör leitete, war etwa zehn Jahre jünger, sehr schlank, und seine Bewegungen wirkten irgendwie feminin.
    »Manche vertragen überhaupt keinen Schmerz«, sagte er. »Sie beginnen schon zu reden, wenn Kurt sich daranmacht, einen Fingernagel abzulösen. Er hat noch nicht einmal richtig angefangen, da packen sie schon aus mit allem, was sie über ihre Freunde und die Familie wissen. Andere sind widerstandsfähiger. Manche bitten sogar um mehr. Was glauben Sie, wie es bei Ihnen laufen wird, Herr Professor?« »Ich weiß so wenig«, sagte der Professor. »Ich habe keine Ahnung, was ihr von mir wollt. Ich fürchte, ich werde euch enttäuschen müssen.«
    »Das sagen alle, aber dann stellt sich heraus, dass sie mehr wissen, als sie selbst geglaubt haben. Sie können auf einmal gar nicht mehr aufhören und müssen uns alles sagen, was ihnen einfällt. Vor allem Akademiker, Herr Professor. Die haben keine Widerstandskraft.«
    Er wandte sich an den Mann, der Kurt hieß. »Wie möchtest du vorgehen?«, fragte er.
    Kurt lehnte immer noch lässig an der Wand. Der Professor hatte mehr Angst vor ihm als vor dem schlanken Kollegen, vor seiner zur Schau gestellten Teilnahmslosigkeit dem gegenüber, was um ihn herum vor sich ging. Er hatte Geschichten aus diesem Gebäude gehört, Geschichten über die Verhörmethoden der Nazis. Kannst du Schmerzen ertragen? Er wusste nicht, ob er froh darüber sein sollte, dass er nichts wusste. Sie würden ihm ganz bestimmt keinen Glauben schenken. Er hatte Angst, dass sie lange dazu brauchen würden, um herauszufinden, dass aus ihm nichts herauszuholen war.
    »Sollten wir nicht auf …«
    Bevor Kurt den Satz zu Ende bringen konnte, öffnete sich die Tür. Herein trat ein Mann, den der Professor kannte. Sie hatten etwa zur gleichen Zeit Nordische Philologie in Kopenhagen studiert, und ihre Wege hatten sich seitdem ein paar Mal gekreuzt. Der Professor hatte aus seiner Verachtung für diesen Mann nie einen Hehl gemacht.
    »Herr Professor«, sagte der Mann mit einer knappen Verbeugung. »Was muss ich da sehen, was hat man mit Ihnen gemacht?«, sagte er. »Das ist doch nicht möglich! Festgebunden an einen Stuhl!«
    Der Mann drehte sich zu den Gestapo-Leuten um und bellte: »Losbinden! Auf der Stelle!«

Dreizehn
    Ich wartete darauf, dass der Professor mit seiner Erzählung fortfuhr, aber er schien auf einmal alles um sich herum vergessen zu haben. Wir waren von Stille und Dunkelheit umgeben. Vom Korridor oder aus den anderen Zellen drang kein Geräusch zu uns herein. Es hatte den Anschein, als wären wir ganz allein in dem Gebäude, als hätte man uns irgendwo hingebracht, wo niemand von uns wusste, und wir müssten dort bis in alle Ewigkeit sitzen, verloren und

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