Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók
Wahnsinn verbunden war, der zum Zweiten Weltkrieg geführt hatte, denn hier schlug damals das Herz der Teufelei, die die Weltgeschichte veränderte und Millionen und Abermillionen Menschen das Leben kostete.
Die Besitzerin der Pension hieß Elsa Bauer. Sie begrüßte den Professor sehr herzlich. Die beiden waren etwa in gleichem Alter; sie schienen sich schon lange zu kennen undgut befreundet zu sein. Sie unterhielten sich auf Deutsch miteinander, und ich mit meinen begrenzten Deutschkenntnissen hatte meine liebe Mühe, ihnen zu folgen. Ich verstand aber so viel, dass sie über Charlottenburg redeten und auch über Antiquariate dort. Wie gewöhnlich verschwendete der Professor keine Zeit auf Nebensächlichkeiten, sondern kam gleich zur Sache. Frau Bauer erklärte, sich in Charlottenburg nicht sonderlich gut auszukennen, sie konnte dem Professor nicht behilflich sein, als er versuchte, sich an Adressen von Antiquariaten zu erinnern.
»Nach dem Krieg hat sich eine Menge verändert«, sagte sie. »Durch die Angriffe der Alliierten ist so vieles zerstört worden. Ich fürchte, dass da kein Stein mehr auf dem anderen steht.«
Sogar ich spürte den Schmerz in ihrer Stimme. Der Professor sah sie lange an, ohne etwas zu sagen. Frau Bauer war klein und zierlich und hatte das Haar im Nacken zu einem Knoten hochgesteckt. Auch wenn der Krieg und die Not sie gezeichnet hatten, sah man ihr an, dass sie einmal eine schöne Frau gewesen war.
»Aber natürlich«, fuhr sie auf einmal mit unterdrücktem Zorn in der Stimme fort, ohne dass ich wusste, wogegen sich ihre Entrüstung richtete, »natürlich können wir das uns selbst zuschreiben. Als ob ich das nicht wüsste! Bist du immer noch hinter deinem Nazi her?«, sagte sie.
»Ja, indirekt«, sagte der Professor.
»Und dieser junge Mann macht da auch mit?«, fragte sie und blickte mich an.
»Ja, er hilft mir. Er ist mein Schüler.«
»Und ist er zu etwas zu gebrauchen?«
»Ganz dumm ist er nicht«, antwortete der Professor. »Wie geht es mit dem Aufbau?«
»Hier besser als im Osten«, erklärte Frau Bauer. »Warum trägst du keinen Schal? Es ist kalt draußen.«
»So kalt ist es auch wieder nicht«, sagte der Professor.
Frau Bauer nahm einen Schlüssel aus einer Schublade und führte uns einen Gang im Erdgeschoss entlang, an dessen Ende ein ordentliches Zweibettzimmer lag, das sie uns zugedacht hatte. Sie reichte dem Professor den Schlüssel. »Du kannst kommen und gehen, wie du möchtest«, sagte sie.
Sie sahen sich an, und selbst ein Einfaltspinsel wie ich konnte sehen, dass sie mehr waren als nur gute alte Freunde.
Ich war todmüde nach der Zugreise und ging gleich zu Bett, und dasselbe tat der Professor. Er hatte darüber gesprochen, dass wir am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe aufstehen und nach Charlottenburg fahren würden. Wahrscheinlich ging er davon aus, dass ich sofort einschlafen würde, aber ich lag noch wach und bemerkte im Dämmerlicht, dass er sich irgendwann halb aufrichtete, eine Weile abwartete und lauschte, und dann stand er wieder auf. Er zog sich geräuschlos die Hose an und streifte die Hosenträger über seine Schlafanzugjacke, bevor er die Tür öffnete und auf Zehenspitzen hinausging. Ich war im Begriff, ihm etwas nachzurufen, aber aus irgendwelchen Gründen zauderte ich und sah ihm nur nach. Er schloss die Tür behutsam hinter sich. Ich wusste zwar nicht genau, wohin er wollte, aber in dieser Aufmachung würde er nicht weit kommen. Ich dachte an Frau Bauer, die der Professor auf dem Weg nach Berlin erwähnt hatte, als ich ihn fragte, wo wir unterkommen würden. Sie war verwitwet; ihr Mann war kurz vor Ende des Kriegs bei einem Bombenangriff umgekommen. Frau Bauer hatte überlebt. Ihr Haus war kaum beschädigt worden, deswegen konnte sie kurz nach dem Krieg dort eine Pension eröffnen. Der Professor quartierte sich immer bei ihr ein, wenn er nach Berlin kam.
Über diesen Gedanken schlief ich ein und wachte erst amnächsten Morgen wieder auf. Der Professor lag jetzt wieder in seinem Bett und schlief noch friedlich. Er wachte auf, als ich mich anzukleiden begann, und wünschte mir einen guten Morgen. Ich war nicht so dumm, ihn nach seinen nächtlichen Unternehmungen zu fragen, denn ich nahm an, dass es ein Beisammensein mit seiner alten Freundin gegeben hatte, und das ging mich nichts an. Er selbst tat, als sei nichts vorgefallen, und drängte darauf, dass wir uns so schnell wie möglich auf den Weg nach Charlottenburg machten. Frau
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