Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók
Schimmer«, sagte der Professor. »Am besten verkrümelst du dich gleich morgen wieder nach Kopenhagen. Ich habe keine Verwendung für dich. Ich habe absolut keine Verwendung für Einfaltspinsel wie dich.«
Ich war zu weit gegangen und wusste nicht, wie ich ihn wieder versöhnlich stimmen konnte. Ich merkte auf einmal, dass ich nicht die geringste Lust hatte, wieder nach Kopenhagen zurückzukehren, alle meine Befürchtungen waren samt und sonders verpufft.
»Ich bin der Meinung, dass ich einiges von dem verstehe, was du durchgemacht hast«, sagte ich vorsichtig. »Ich kann das natürlich nicht wirklich nachvollziehen, das kann außer dir niemand. Ich möchte dich nicht beleidigen, indem ich behaupte, dass ich dich kenne. Ich würde gern mit dir nach Berlin fahren und falls notwendig auch noch weiter.«
Ich weiß gar nicht, ob er hörte, was ich sagte. Er hatte sich wieder im Sessel niedergelassen, stützte das Kinn in die Hand und schien in Gedanken ganz woanders zu sein. Ich schwieg. Die nächtlichen Geräusche aus dem Rotlichtviertel drangen zu uns herein, Hupen von Autos und Rufe, und ich sah die Prostituierten in den Fenstern vor mir. Gab es etwas Erniedrigenderes?
»Wir müssen es finden, Valdemar«, sagte der Professor schließlich. »Egal, wie langsam wir vorwärtskommen, egal, wie unbedeutend die Anhaltspunkte sind, egal, was es kostet, wir müssen das Buch wiederbekommen. In diesem Zusammenhang von irgendwelchen Lorbeeren zu reden ist eine Beleidigung. Begreifst du das? Das ist dummes Zeug. Es geht hier nicht um persönliche Triumphe. Du bist reichlich kindisch! Es geht hier nicht um Heldentaten oder darum, ob alles herauskommen wird und ich auf ewig die Schande auf mir sitzen lassen muss. Das spielt überhaupt keine Rolle. Nur eines spielt eine Rolle, und das ist das Buch. Das Buch Islands! Der Codex Regius ! Versuch doch, das zu verstehen.«
Die Wut des Professors schien etwas abgeklungen zu sein. Er öffnete seine Schnupftabaksdose.
»Warten wir ab, was wir in Berlin herausfinden«, sagte ich. Er nickte zustimmend.
»Ja, warten wir ab«, sagte er und schien vergessen zu haben, dass er mich wieder nach Kopenhagen hatte zurückjagen wollen.
Wieder versank der Professor für eine lange Zeit in seinen Gedanken.
»Und was ist mit den verschollenen Seiten?«, fragte ich schließlich. Ich hatte oft an unseren Fund in Schwerin denken müssen.
»Dieser Joachim wird uns schon noch wieder über den Weg laufen«, sagte der Professor.
»Du glaubst also, dass sie uns nicht verloren haben?«
»Ich glaube, dass wir, wenn wir den Codex Regius gefunden haben, in einer besseren Position sind, um uns diesen Joachim vorzuknöpfen«, sagte der Professor. Ich sah den blonden Mann mit den klassischen Gesichtszügen vor mir und den anderen, der Helmut hieß. Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, dass sie uns wieder über den Weg laufen würden.
»Er ist ebenfalls hinter dem Codex Regius her«, sagte ich. »Vielleicht ist das der Grund dafür, dass er sich urplötzlich mit mir in Verbindung gesetzt hat. Ich bin davon ausgegangen, dass die Orlepps noch im Besitz der Handschrift sind und dass es ihm nur um die verschollenen Seiten geht. Vielleicht ist er ja hinter beidem her. Wenn sie den Codex Regius nicht haben, sieht die Sache ganz anders aus, denn dann besteht tatsächlich die Hoffnung, dass wir ihn finden können, Valdemar. Eine Hoffnung, dass er uns nicht für immer verloren ist!«
Sechzehn
Berlin zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges bot keinen sehr erfreulichen Anblick. Auch wenn der Aufbau in diesen wenigen Jahren große Fortschritte gemacht hatte, waren die Folgen des Kriegs noch sehr deutlich zu sehen, genau wie in anderen deutschen Städten, die den Bombenangriffen der Alliierten ausgesetzt gewesen waren. Auf der Fahrt von Amsterdam hatten wir einige davon passiert. Halb und ganz zerstörte Häuser und Gebäude glitten an uns vorbei, aber wir sahen auch Kräne, die vom Wiederaufbau zeugten, vielleicht von einer neuen und besseren Welt. Wir brauchten den ganzen Tag dazu, um Deutschland von West nach Ost zu durchqueren, und kamen erst am Abend in Berlin an.
Wieder übernahm der Professor die Führung, und vom Bahnhof Zoo aus gingen wir zu einer Pension, in der er immer übernachtete, wenn er in Berlin war. Die Straßen waren spärlich beleuchtet, und mir kam die Stadt auf den ersten Blick öde und düster vor. Vielleicht hing es aber auch damit zusammen, dass sie für mich mit der Erinnerung an den
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