Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók
finden kann?«Die Frau hatte einen kleinen Zettel in der Hand, den sie dem Professor reichte.
»Ich habe mir ihre Adresse aufgeschrieben«, sagte sie. »Hilde ist alleinstehend und Mutter von zwei Kindern. Es ist nicht einfach für sie, Arbeit zu finden. Vor allem, wenn Leute wie Glockner das Sagen haben.«
Der Professor nahm den Zettel entgegen.
»Weshalb … Warum helfen Sie uns?«, fragte er.
Die Sekretärin trat einen Schritt zurück.
»Herr Glockner ist kein guter Mensch«, erklärte sie.
Und mit diesen Worten eilte sie zurück in die Büroräume. Die Tür zum Aufzug öffnete sich quietschend. Der Professor sah hinein, war aber unschlüssig, ob man sich ihm anvertrauen konnte.
»Wir nehmen die Treppe«, sagte er und schoss nach unten. »Eins ist aber gut, falls Glockner den Codex Regius hat!«
»Und was sollte das sein?«, fragte ich und rannte hinter ihm die Treppe hinunter.
»Er scheint keine Ahnung zu haben, was er da in den Händen hat«, sagte der Professor. »Falls er es wüsste, hätte er die Handschrift ganz anders zu Geld gemacht, hätte potentielle Käufer zusammengetrommelt, um sie dem Meistbietenden zu verkaufen.«
Achtzehn
Die Frau, an die uns die Sekretärin verwiesen hatte, lebte in der Nähe der Cheruskerstraße in einem Arbeiterviertel der Stadt. Unterwegs fiel eine Straßenbahn aus, und bewaffnet mit einem Stadtplan mussten wir ein ganzes Stück zu Fuß zurücklegen. Der Professor schien sich aber hier, genau wie andernorts, ziemlich gut auszukennen und erzählte mir einiges über die Straßen und Häuser, an denen wir vorbeikamen und die seiner Meinung nach von Bedeutung waren. Es war typisch für den Professor, dass er – wann und wo auch immer – darauf bedacht war, einen an seinem umfangreichen Wissen teilhaben zu lassen und einem so viel wie möglich beizubringen.
Seine Hoffnung, den Codex Regius zu finden, war nach der Begegnung mit Glockner gesunken, vor allem aber nach den erstaunlichen Informationen dieser Sekretärin. Er konnte sich nicht vorstellen, wie dieses Kleinod bei einer einfachen, armen Frau aus dem Volke in einem Arbeiterviertel von Berlin gelandet sein konnte. Ich denke, er hatte sich die Handschrift immer in königlichen Sälen vorgestellt, in Schlössern oder bedeutenden kulturellen Einrichtungen, aber niemals unter einfachen Leuten. Obwohl er natürlich sehr genau wusste, dass auch bettelarme Isländer sie in den Händen gehalten hatten, sie bewahrt und gehütet hatten. Es konnte auch gut sein, dass diese Handschrift in irgendwelchen elenden Hütten herumgelegen hatte, bevor sie in die Hände von BischofBrynjólfur gelangt war. Bücher, bedeutende oder unbedeutende, können unglaubliche Schicksale haben; sie können sich weder auswählen, ob ihre Eigentümer gut oder schlecht sind, noch, in welcher Behausung oder auf welchem Regal sie landen.
In dieser Art versuchte ich, dem Professor unterwegs zuzureden, während seine Gedanken ausschließlich darum kreisten, welches schreckliche Schicksal der Handschrift zuteilgeworden sein konnte: Wir würden sie wahrscheinlich niemals wiederfinden, sie sei auf immer und ewig verloren. Es wäre töricht, etwas anderes zu glauben. Wir wüssten ja noch nicht einmal, ob diese alte isländische Schrift, von der Färber nur vom Hörensagen wusste, wirklich durch Glockners Hände gegangen war und diejenige war, nach der wir suchten. Da kämen auch Hunderte, wenn nicht Tausende andere in Frage. Was war eine alte Schrift? Genauso gut konnte es auch ein Buch aus dem letzten oder vorletzten Jahrhundert sein. Ich befürchtete, dass der Professor sich jetzt wieder einmal in den Gedanken hineinsteigern würde, dass die Sache hoffnungslos sei, und dann würde es nicht lange dauern, bis er zur Flasche griff und alles wieder in den alten Bahnen verlief.
Wir fanden das Haus, gingen die Treppe hoch bis in den dritten Stock und klopften an. Die Nachbarhäuser waren den Bomben zum Opfer gefallen, und ihre Ruinen neben dem stehen gebliebenen Haus gemahnten an Gunst und Ungunst des Schicksals.
Die Tür öffnete sich einen Spalt, und das Gesicht einer Frau erschien. Sie sah verwundert von einem zum anderen. In der Wohnung hörte man ein Kind weinen.
»Frau Kamphaus?«, fragte der Professor. »Hilde Kamphaus?«
»Ja«, sagte die Frau.
»Die Sekretärin von Arthur Glockner hat uns gesagt, wo Sie wohnen. Sie meinte, wir sollten mit Ihnen sprechen, wegen eines alten Buchs, das Sie Herrn Glockner überlassen haben.«
Die Frau starrte zuerst
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