Coe, David B. - Die Chroniken von Amarid 01 - Der Fluch des Magiers
dass man ihm gestattet, vor dieser Versammlung das Wort zu erheben, um seine Vision zu beschreiben.« Jessamyn sah sich um. »Hat jemand etwas dagegen?« Auf ihre Frage folgte nur Schweigen. »Dann sprich, Jaryd«, sagte sie.
Und so beschrieb Jaryd erneut seinen Traum von dem kapuzenverhüllten Magier, diesmal vor den mächtigsten Männern und Frauen des Landes, die ihn begierig und, wie er dachte, sogar ein wenig ängstlich anstarrten.
Als er fertig war, sprach ihn jemand vom anderen Ende des Tisches an. Noch bevor er sich umdrehte, um die Fragende anzusehen, wusste er, dass es Alayna gewesen war. »Dieser seltsame Vogel aus deinem Traum - siehst du einen solchen Vogel jetzt hier, in diesem Raum?«
Weder er noch Baden hatten daran gedacht, und Jaryd stand rasch wieder auf, um sich die Vögel genau anzuschauen. »Nein«, erklärte er schließlich, an Alayna gewandt. »Ein solcher Vogel ist nicht hier.«
»Was ist mit dem Ceryll?«, erklang eine andere Stimme. »Siehst du einen Kristall von der Farbe, die du im Traum gesehen hast?«
»Nein«, wiederholte Jaryd bedrückt.
»Lass dich davon nicht entmutigen, Junge«, meinte Sartol und lächelte Jaryd voller Mitgefühl an. »Nicht all unsere Träume können so wörtlich genommen werden. Du hattest eine machtvolle Vision, und bevor diese Geschichte vorüber ist, werden wir sicher alle erfahren, was sie zu bedeuten hatte.«
»Gut gesprochen, Sartol«, stimmte ihm Radomil zu, der links von Jaryd saß. »Aber inzwischen bringt uns das leider nicht weiter.«
»Radomil hat Recht«, erklärte Orris laut und erhob sich abermals. »Wir haben keine Ahnung, von wem diese Angriffe ausgehen und warum, und es wird Zeit, dass wir das zugeben.«
»Was schlägst du vor, Orris?«, fragte Baden, und sein ruhiger Tonfall stand in scharfem Kontrast zu der brennenden Ungeduld, die in jeder Bewegung des Falkenmagiers deutlich wurde.
Orris zögerte und sah sich im Saal um, als wäre er nicht ganz zufrieden mit dem, was er nun sagen musste. »Wir sollten das geistige Netz wieder herstellen.« Mehrere ältere Magier erhoben laut Widerspruch, und wieder schien sich die Versammlung in einem Tumult aufzulösen.
»Ich verstehe nicht, um was es geht«, sagte Jaryd über den Lärm hinweg zu Baden.
Baden nickte. »Das lässt sich nicht so einfach erklären. Das geistige Netz ist genau das, wonach es sich anhört: ein telepathisches Netz, das alle Magier im Orden miteinander verbindet. Es wurde zum ersten Mal zu Amarids Zeit eingesetzt, nach Therons Tod und nachdem Therons Anhänger in ihr selbst gewähltes Exil gegangen waren. Amarid fürchtete, sie könnten zurückkehren und versuchen, den Orden zu übernehmen und das Volk von Tobyn-Ser zu versklaven. Er glaubte, dieses Netz könnte dem Orden erlauben, Wache an den Grenzen des Landes zu halten.« Baden hielt inne, als Jessamyn abermals versuchte, die Versammlung zur Ordnung zu rufen. Als er wieder sprach, hatte er die Stimme zu einem Flüstern gesenkt. »Orris will diese Verbindung auf eine etwas andere Weise nutzen: Er will damit die Aktivitäten sämtlicher Ordensmitglieder überwachen.«
»Ist das denn keine gute Idee?«, fragte Jaryd leise. »Ich meine, vor allem angesichts der Möglichkeit, dass sich ein Verräter im Orden befindet?«
Bevor Baden antworten konnte, ergriff Jessamyn wieder das Wort. »Ich muss euch alle bitten, mit diesen Streitereien aufzuhören. Das hier ist eine Versammlung, und wir haben gewisse Verhaltensregeln.« Die zierliche Eulenweise bedachte alle Anwesenden mit einem verärgerten Blick, und selbst die letzten Gespräche erstarben. »Orris, was hattest du angesprochen?«
Der Falkenmagier räusperte sich. »Ich befürworte die Wiedererrichtung des geistigen Netzes, wie es Amarid einmal eingerichtet hat.«
Ein silberhaariger Eulenmeister schüttelte den Kopf. »Amarids Namen zur Rechtfertigung deiner Empfehlung zu benutzen ist irreführend, Orris, und das weißt du auch. Amarids Netz wurde genutzt, um das Land zu schützen, nicht, damit Magier einander überwachen können.«
»Wenn wir das Netz so nutzen, wie du vorschlägst«, wandte ein anderer Eulenmeister ein, »würden wir damit direkt gegen Amarids drittes Gesetz verstoßen.«
Jaryd warf Baden einen fragenden Blick zu, und sein Lehrer rezitierte leise: »Niemals dürfen Magier ihre Kräfte gegeneinander einsetzen.«
»Das ist doch lächerlich, Odinan!«, rief einer der Jüngeren. »Das dritte Gesetz legt auch fest, dass der Orden der Schlichter aller
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