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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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ihn
eigentlich in Melbourne, in Gesellschaft von Roger Anstruther.
     
    Okay, ich gestehe, dass ich
ein paar wichtige Teile der Geschichte ausgelassen habe. Wahrscheinlich wird es
Zeit für eine kleine Rückblende.
    Am Samstagnachmittag hatte ich
in der Wachstation des Krankenhauses in Aberdeen endlich wieder die Augen aufgeschlagen.
Zwei Menschen saßen an meinem Bett: Trevor Paige und Lindsay Ashworth. Sie
waren gekommen, um mich heimzuholen.
    Am nächsten Tag reisten Trevor
und ich zusammen mit dem Zug zurück nach London. Lindsay fuhr den Prius nach
Hause. Während der Zugfahrt erzählte mir Trevor, wie es der Firma Guest
Zahnbürsten ergangen war: Sie waren am Donnerstagvormittag gezwungen worden,
all ihre Vermögensgegenstände zu liquidieren, nachdem die Bank sich geweigert
hatte, die Kreditlinie zu verlängern. Zu der Zeit kurvte ich gerade in der
Gegend von Dundee herum, aber niemandem in der Firma war es gelungen, Kontakt
mit mir aufzunehmen. Alle zehn Firmenangehörigen waren in die Arbeitslosigkeit
entlassen worden, und natürlich hatte das Projekt, auf der Messe die neue Produktpalette
vorzustellen, aufgegeben werden müssen. Lindsays schöne Pläne waren zu
Makulatur geworden.
    Zu Hause in Watford brauchte
ich erst einmal ein paar Tage, um mich von den Strapazen der Reise zu erholen.
Den größten Teil der neuen Woche verbrachte ich im Bett. Ich kann sagen, dass
viele Leute mich besuchen kamen. Nicht nur Trevor und Lindsay, sogar Alan Guest
höchstpersönlich. Er schien sogar ein schlechtes Gewissen zu haben wegen des
unglücklichen Ausgangs meines Parts an der Kampagne, als läge das in seiner
persönlichen Verantwortung. Ich versicherte ihm, dass er sich in dieser
Hinsicht keine Sorgen machen musste. Poppy kam mich zwei Mal besuchen, beim
zweiten Mal brachte sie ihren Onkel mit. Und am Wochenende kam es noch besser,
mir wurde das Glück in Form eines Besuchs von Caroline und Lucy zuteil. Sie
blieben nicht etwa über Nacht, das dann doch nicht, aber immerhin war es das
erste Mal seit unserer Trennung, dass sie wieder einen Fuß nach Watford
hineingesetzt hatten, und Caroline versprach mir, dass es nicht das letzte Mal
gewesen sein sollte.
    Sobald ich wieder einigermaßen
auf dem Damm war, nahm ich Kontakt zu meinem ehemaligen Arbeitgeber auf und
verabredete einen Termin mit Helen, der Arbeitsschutz-Beauftragten. Ich sagte
zu ihr, ich hätte noch einmal über meine Position im Kaufhaus nachgedacht und
sei bereit, meine Arbeit wieder aufzunehmen, falls meine Stelle noch frei sei.
Helen war fassungslos ob dieser Eröffnung und sagte, sie werde mit der Personalabteilung
über mein Ansinnen reden und mich in ein paar Tagen zurückrufen. Sie hielt
Wort. Es sei bereits ein neuer Beauftragter für die Nachkaufbetreuung
eingestellt, sagte sie, aber sie versprach, mir per E-Mail eine Liste der
Stellen zu schicken, die in anderen Abteilungen des Unternehmens vakant waren,
und versicherte mir, dass meine eventuelle Bewerbung mit Wohlwollen geprüft werde.
Die Liste traf ein, und nach gründlicher Abwägung bewarb ich mich um einen Job
in der Abteilung Haushaltstextilien. Ich freue mich, sagen zu dürfen, dass ich
die Stelle bekam und eingewilligt habe, am Montag, den 20. April, dort
anzufangen.
    In der Zwischenzeit hatte ich
mir etwas vorgenommen, und jetzt war mir klar geworden, wie wenig Zeit mir
dafür noch zur Verfügung stand. Eines Morgens trug ich den mit Roger
Anstruthers Ansichtskarten prall gefüllten Müllsack in die Küche, kippte ihn
über dem Tisch aus und machte mich ans Sortieren. Zuerst wollte ich sie in eine
chronologische Reihenfolge bringen. Kein ganz einfaches Unterfangen, weil nicht
jede Postkarte datiert war, und bei vielen von denen ohne Datum war der
Poststempel unleserlich. Es war viel Rätselraten mit im Spiel. Aber nach ein
paar Stunden war ich dann doch in der Lage, eine grobe Skizze von Rogers
Reisewegen während der letzten Jahre zu entwerfen. Seit Januar 2006 war er von
Südchina durch Myanmar, Thailand und Kambodscha hinunter nach Indonesien
gereist und hatte fast ein Jahr auf der Insel Palau, etwa tausend Kilometer
westlich der Philippinen gelebt. Ein entlegenerer Ort ließ sich auf der ganzen
Welt kaum finden, und die Vorstellung, Roger könnte sich dort niedergelassen
haben, zumindest für den Augenblick, ließ mein Vorhaben noch fantastischer und
unausführbarer erscheinen, als es ohnehin war. Mein Plan war nämlich ... Na,
ihr werdet es inzwischen erraten haben. Ich wollte

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