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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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Abend.
     
    Kennst du das Lied, Emma? Ganz bestimmt. Komm, sing
einfach mit. Sing mit mir. In schweren Zeiten tut es gut, ein Liedchen auf
den Lippen zu haben. Hält die Stimmung oben.
     
    Die Hupe von dem Bus macht tuut tuut tuut,
    Tuut tuut tuut, tuut tuut tuut.
    Die Hupe von dem Bus macht tuut tuut tuut,
    Vom Morgen bis zum Abend.
     
    »Was ist, kennst du das Lied
nicht? Ich hab das immer mit Lucy gesungen. Ich kenn es auswendig. Ob sie sich
noch dran erinnert? Wir haben es im Bett gesungen, an den Wochenenden, gleich
als Erstes am frühen Morgen. Caroline ist zuerst unter die Dusche gegangen, ich
bin noch im Bett geblieben, und dann ist Lucy zu mir hereingeklettert und hat
sich auf meinen Bauch gesetzt, und wir haben das Lied gesungen.«
    Ich kenne das Lied nicht.
    »Also, die nächste Strophe geht so:
     
    Die Kinder in dem Bus hüpfen rauf und runter,
    Rauf und runter, rauf und runter.
    Die Kinder in dem Bus hüpfen rauf und runter,
    Vom Morgen bis zum Abend.
     
    Und dann noch:
     
    Die Babys in dem Bus singen bäh bäh bäh,
    Bäh bäh bäh, bäh bäh bäh.
    Die Babys in dem Bus singen bäh bäh bäh,
    Vom Morgen bis zum Abend.
     
    Weißt du was, Emma, ich glaube
nicht, dass wir den Berg schaffen. Das ist kein Auto für solche Verhältnisse.
Ihm fehlt der richtige Griff auf dem Eis. Und hast du eben das Stottern
gehört. So hört sich ein Auto an, dem der Sprit ausgeht. Das wird verdammt eng!
Wenn wir es bis oben schaffen, können wir auf der anderen Seite im Leerlauf
wieder runterrollen. Aber ich fürchte ... dazu müssten wir es erst mal bis
oben schaffen.«
    Nein. Pech gehabt.
    Aus die Maus. Wir sitzen fest.
    Still hier, findest du nicht?
    Sehr still.
    »Du weißt, wo wir sind, oder?« Wo sind
wir, Max?
    »In einer Flaute. Wir sitzen
in einer Flaute fest, wie Donald Crowhurst, nachdem sein Funkgerät den Geist
aufgegeben hatte. Bei ihm war der Funk tot, bei uns ist es das Handy.«
    Aber etwas darfst du nicht
vergessen, Max. Etwas sehr Wichtiges. Du bist nicht Donald Crowhurst. Du bist
Maxwell Sim.
    »Nein, das hast du noch nicht
verstanden. Immer noch nicht. Alles, was ihm widerfahren ist, widerfährt auch
mir. Jetzt.«
    Wir sind in den Cairngorms.
Nicht im Sargassomeer. »Man muss nur die Augen zumachen, dann kann man überall
sein.«
    In seiner Kabine war es heiß.
Hier ist es kalt.
    »Na, dagegen lässt sich doch
was tun. Wir drehen einfach die Heizung voll auf.«
    Wenn du das machst, ist die
Batterie bald am Ende.
    »Macht nichts. Und Crowhurst
war nackt, oder? Die letzte Woche ist er doch die meiste Zeit nackt
herumgesprungen?«
    Max, bitte nicht. Beherrsch
dich.
    »Was ist los? Hast du noch nie
einen nackten Mann gesehen? Nein, wahrscheinlich nicht.«
    Max, hör auf. Zieh das Hemd
wieder an. Und bitte mach die Heizung aus. Es ist jetzt schon zu heiß hier. Du
verschwendest die Batterie.
    »Und jetzt die Hose! Wenn's
dich schockiert, guck einfach weg. So! Jetzt haben wir's alle mollig und
bequem. Keine Geheimnisse mehr zwischen uns. Wie wär's mit einem kleinen
Schlückchen zur Feier des Tages? Wir haben noch den Talisker, fünfundzwanzig
Jahre alt, mit besten Empfehlungen von Alison und Philip. Du trinkst keinen
mit? Kann ich verstehen. Sehr weise. Ich habe längst genug von dem Zeugs intus,
aber auf uns wartet eine lange Nacht in diesem Scheißgebirge ...«
     
    »Was ist? Was ist passiert? Wo bin ich? Emma?
    Ich bin hier, Max. »Hab ich geschlafen?« Ja. Über eine Stunde.
    »Wirklich? Mist, ich hatte
gehofft, es wäre länger gewesen. Gott, ist das heiß hier drinnen.«
    Die Heizung ist die ganze Zeit
gelaufen. Ich hab dich gewarnt, sie so hoch zu drehen. Die Batterie ist so gut
wie leer. Du weißt, was das bedeutet, Max. Oder?
    »Nein, was bedeutet es?«
    Dass ich bald gehen muss. Ich bin schon ganz schwach.
    »O nein! Bitte nicht, Emma!
Nicht auch noch du. Bitte, verlass mich nicht.«
    Bald bin ich weg. Kann sich nur noch um Minuten
handeln.
    »Ich dreh die Heizung runter.
Ich dreh sie ganz ab.«
    Nein, Max, es ist zu spät. Wir müssen uns jetzt
Lebewohl sagen.
    »Aber ich kann nicht ohne dich
sein, Emma. Du warst ... alles für mich in den letzten Tagen. Ohne dich ...
ohne dich kann ich nicht weiterleben.«
    Es ist nicht zu ändern.
    »Nein! Du darfst nicht gehen. ICH BRAUCHE
DICH.«
    Nicht weinen, Max. Wir hatten
eine schöne Zeit. Jetzt ist sie abgelaufen. Du musst versuchen, dich damit
abzufinden. Uns bleiben nur noch ein paar Minuten.
    »Damit kann ich mich nicht abfinden,
niemals.«

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