Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
Vom Netzwerk:
ich, obwohl ich ihm ansah, dass etwas schiefgelaufen sein musste. »Wie
war es mit Roger? Hast du ihn überhaupt wiedererkannt, nach so vielen Jahren?«
    Der Kellner brachte uns unsere
Drinks (auch das gefiel mir so gut an diesem Restaurant, der fantastische
Service) und ging dann hinüber zu dem anderen Tisch, um mit der Chinesin und
ihrer Tochter abzurechnen.
    Mein Vater ließ den Amaretto
im Glas kreisen, bevor er einen kräftigen Schluck nahm.
    »Von wem stammte die Idee mit
dem Treffpunkt im Teehaus des Botanischen Gartens?«, fragte er. »Von dir oder
von Roger?«
    »Von mir«, sagte ich. »Warum,
war daran etwas falsch? Erzähl mir nicht, dass es wegen Renovierung geschlossen
war.«
    »Nein. Nein, es war alles in
Ordnung mit der Idee, wirklich. Und die Gärten sind wunderschön. Es wundert
mich nur, dass du den Treffpunkt ausgesucht hast. Ich dachte, du warst noch nie
in Melbourne.«
    »War ich auch nicht«, räumte
ich ein. »Ich habe einen Facebook-Freund, der in Melbourne lebt, und habe ihn
um einen Vorschlag gebeten. Also war die Idee eigentlich von ihm, nicht von
mir.«
    »Aha. Na gut. Ja, das ist
gut.«
    Ich verstand nicht ganz,
worauf er hinauswollte. Etwas daran schien mir alles andere als gut zu sein.
»Aber ...?«, soufflierte ich ihm.
    »Na ja ...« Mein Vater trank
noch einen Schluck, während er gründlich darüber nachdachte, was er sagen
wollte. »Na ja, eigentlich eine nette Idee, Max, wenn es da nicht ein Problem
gäbe.«
    »Ja?«
    Er beugte sich vor und sagte:
»Der Botanische Garten in Melbourne hat zwei Teehäuser.«
    Ich ließ das Amarettoglas, das
ich gerade an die Lippen setzen wollte, langsam wieder sinken.
    »Wie bitte?«
    »Es gibt zwei Teehäuser. An
entgegengesetzten Enden der Gärten. Das eine ist oben beim Haupteingang,
gegenüber dem großen Kriegerdenkmal, das andere ist unten beim Zierteich. Ich
bin zu dem unten beim Teich gegangen.«
    »Und Roger ...?«, fragte ich,
obwohl es mir beinahe die Sprache verschlagen hatte.
    »Tja, wie's aussieht, ist er
zu dem anderen gegangen.«
    Langsam dämmerte mir die
Absurdität, der Schrecken der Geschichte.
    »Ihr habt euch verpasst?« Mein Vater nickte.
    »Aber ... ich habe dir seine
Handynummer gegeben. Und seine Nummer in dein Handy eingespeichert. Hat er
nicht versucht, dich anzurufen?«
    »Doch. Vierzehn Mal. Wie ich
gesehen habe, als ich wieder zu Hause war. Hier.«
    Er holte sein Handy aus der
Jackentasche und zeigte mir die kleine Nachricht auf dem Display: »Vierzehn
verpasste Anrufe.«
    »Und warum hast du nicht zurückgerufen?«
    »Ich hatte das Telefon nicht dabei.«
    »Du hattest es nicht dabei? Dad, du ... du Hornochse. Ich
hab dich noch gefragt, ob du es dabei hast. Und du hast Ja gesagt. Heute Morgen hab ich dich
gefragt.«
    »Ich dachte, ich hätte es
dabei, aber es war ein Irrtum. Das hier hatte ich dabei.«
    Er zog etwas aus seiner
Jackentasche und legte es zwischen uns auf den Tisch. Es war die Fernbedienung
seines neuen Flachbildfernsehers.
    »Du musst zugeben«, sagte er
und legte sie neben sein Handy auf den Tisch, »dass sie sich ähnlich sehen.«
    Es stimmte. Sehr sogar.
    »Und ... was ist passiert?«
    »Na ja, ich bin etwa zehn vor
drei beim Teehaus angekommen und habe dort ungefähr eine halbe Stunde oder so
gesessen, bis mir klar wurde, dass Roger sich verspätet haben musste. Als ich
auf meinem Telefon nachsehen wollte, ob er versucht hatte, mich anzurufen,
musste ich feststellen, dass ich versehentlich die Fernbedienung eingesteckt
hatte. Aber noch bekam ich es nicht mit der Angst, denn ich wusste ja nur von
einem Teehaus im Botanischen Garten, und in dem saß ich. Also habe ich noch mal
zwanzig Minuten gewartet, und als das Mädchen an meinen Tisch kam, um meine
Sachen abzuräumen, habe ich sie gefragt: >Sagen Sie, wenn Sie mit jemandem
im Teehaus im Botanischen Garten verabredet wären, dann würden Sie doch hierher
kommen, oder?<, und sie lächelte mich an und antwortete: >Sicher, wohin
sonst?<, und sie war schon dabei, zu gehen, als sie sich noch mal umdrehte
und sagte: >Ach - es sei denn natürlich, ich wäre in dem anderen
verabredete«
    Wir ließen beide den Amaretto
kreisen, tranken jeder noch einen Schluck. Unsere Gläser waren fast leer.
    »Da war mir natürlich klar,
was passiert war. Ich habe das Mädchen gefragt, wie lange man zu Fuß von einem
Teehaus zum anderen braucht, und sie hat geantwortet, zehn oder fünfzehn
Minuten (sie hat mir wohl angesehen, dass ich nicht mehr in der Blüte

Weitere Kostenlose Bücher