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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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immer
ausgeklügeltere Strategien ausdenken, um nicht erwischt zu werden. Das hier« -
sie klopfte auf ihre Handtasche - »ist eine davon.«
    »Und die funktioniert wie?«,
fragte ich.
    »Ganz einfach. Zuerst fliege
ich durch die Welt, zu den verschiedensten Flughäfen, und mache dort
Aufnahmen, die ich zu Hause auf einer CD zusammenstelle. Diese CD können unsere
Kunden kaufen, als Teil eines Pakets. Stellen Sie sich vor, Sie sind einer
dieser Kunden. (Auch wenn Sie ehrlich gesagt nicht wie ein Ehebrecher
aussehen.) Sie sind auf Geschäftsreise im Fernen Osten, wollen diese Reise aber
abkürzen, um ein, zwei Nächte bei Ihrer Geliebten in Paris zu verbringen. Ihre
Frau soll davon natürlich nichts erfahren. Wir bieten Ihnen eine gute Methode,
Ihre Frau in Sicherheit zu wiegen. Kurz bevor Sie nach Hause fliegen, rufen Sie
sie aus ihrem Hotelzimmer in Paris an. Ihre Geliebte ist mal eben schnell unter
die Dusche gehupft, Sie legen die CD in die Stereoanlage, rufen Ihre Frau an,
und was hört sie im Hintergrund, während Sie mit ihr reden?« Sie öffnete ihre
Tasche, drückte auf die Play-Taste ihres Rekorders, und aus dem eingebauten
Lautsprecher erklang die Ansage, die ich kurz zuvor mit eigenen Ohren gehört
hatte: »Willkommen in Singapur. Passagiere auf der Weiterreise werden höflichst
darauf aufmerksam gemacht, dass im gesamten Terminal das Rauchen untersagt ist.
Wir bedanken uns für Ihr Verständnis und wünschen Ihnen eine angenehme
Weiterreise.« Poppy lächelte mir triumphierend zu. »Da haben Sie Ihr Alibi. Wer
macht sich noch Gedanken darüber, von wo Sie anrufen, wenn er das hört?«
    Ich nickte langsam, um zu zeigen, wie beeindruckt ich
war. »Und es gibt Leute, die für so etwas Geld zahlen?«
    »Und ob«, sagte Poppy. »Viel Geld.« (Das Wort »viel«
zog sie in die Länge.) »Wirklich wahr, Sie würden sich wundern.«
    »Was sind das für Leute?«
    »Alle möglichen. Unglückliche
Ehen gibt es überall. Aber unsere Tarife sind ziemlich üppig, deshalb
beschränkt sich die Klientel auf spezielle Kreise. Investmentbanker,
Profifußballer, die Richtung.«
    Ich war verblüfft über die
Unbekümmertheit, mit der sie mir das alles erzählte. So erregend die
Vorstellung von einer »Ehebruchshelferin« war, fand ich sie auch ziemlich
schockierend.
    »Was ist ...«, fragte ich,
vorsichtig nach Worten suchend, »wie ist das mit der moralischen Dimension?«
    »Mit was?«, fragte Poppy.
    »Ich frage mich gerade, ob Sie
nicht Gewissensbisse haben müssten. Verstehen Sie ... die Tatsache, dass Sie
Menschen helfen, andere Menschen zu betrügen. Belastet das ... belastet das
denn gar nicht Ihr Gewissen?«
    »Ach, das meinen Sie.« Poppy
rührte mit dem Plastiklöffel im Schaum auf dem Boden ihres Bechers. »Über das
Stadium, in dem solche Dinge mich belastet haben, bin ich hinaus. Sehen Sie,
ich habe in Oxford Geschichte studiert und mit einem Einserexamen
abgeschlossen. Und wissen Sie, was ich seitdem für Jobs gemacht habe? Den
letzten Dreck. Der beste war noch Assistentin des Geschäftsführers eines
Tabledance-Schuppens. Und der schlimmste ... ach, ich glaube, das wollen Sie
gar nicht wissen. Und dazwischen bin ich monatelang arbeitslos gewesen. Dies
hier ist leicht verdientes Geld, und der Job lässt mir jede Menge Zeit für das,
was ich am liebsten tue: herumsitzen und lesen oder mir Filme angucken oder ins
Museum gehen.«
    »Klar, ich weiß, wie ... schwierig
zurzeit alles ist. Ich dachte nur -«
    »Jetzt klingen Sie fast schon
wie Clive. Der hat auch so geredet, als ich ihm von dem Job erzählt habe. Und
wissen Sie, was ich ihm geantwortet habe?«
    Natürlich wusste ich nicht,
was sie ihm geantwortet hatte. Ich wusste ja nicht einmal, wer Clive war. Aber
mein erster, eigentlich mein einziger Gedanke in diesem Augenblick war, dass
ich mich nicht gerade darüber freute, zu einem so frühen Zeitpunkt unserer Bekanntschaft
von einem anderen Mann zu hören.
    »Na, ich habe mich ganz schön
aufgeregt«, sagte Poppy, »was mir bei Clive sehr selten passiert. Ich hab zu
ihm gesagt: Weißt du, dass Menschen meines Alters es absolut nicht ausstehen
können, wenn Menschen deines Alters ihnen Vorträge über Moral halten? Schau
dich doch mal um in der Welt, die ihr uns vererbt habt. Meinst du denn, sie lässt uns auch
nur den geringsten Spielraum für irgendwelche Prinzipien? Ich hab die Schnauze
voll von eurem Gerede über den Werteverfall in meiner Generation. Unseren
Materialismus. Unser unterentwickeltes Interesse

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