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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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lange
unterwegs, als ihm etwas anderes allzu schmerzhaft bewusst wurde: Es gab auch
kein Voran. Nach wenig mehr als zwei Wochen Reise hatte sich sein Versuch der
einhändigen Weltumseglung als totale Illusion entpuppt.
    Am Freitag, dem 15. November,
notierte er: »Der Zeitpunkt, zu dem ich entscheiden muss, ob ich angesichts der
gegenwärtigen Lage weitermachen kann oder nicht, rückt immer näher; das
belastet mich sehr. Eine scheußliche Entscheidung - in dieser Phase alles
hinschmeißen - eine wirklich scheußliche Entscheidung!« Die Elektronik der
Teignmouth Electron versagte, ihre Luken waren nicht dicht (durch das vordere
Backbordluk hatte das Boot in fünf Tagen fast fünfhundert Liter Wasser
geschluckt), Crowhurst hatte in Teignmouth lebenswichtige Schläuche zurückgelassen,
was nun das Abpumpen des Wassers nahezu unmöglich machte, seine Segel
scheuerten, aus dem Rudersystem lösten sich immer wieder Schrauben, und was den
Bordcomputer betraf, der das Boot automatisch steuern, auf jede seiner
Bewegungen mit feinster Sensibilität reagieren sollte - nun, Crowhurst hatte es
noch nicht einmal geschafft, ihn zu installieren, geschweige denn in Betrieb zu
nehmen. Das Gewirr aus verschiedenfarbigen Kabeln, die überall in der Kabine
offen herumlagen, führte ins Nirgendwo. Mit anderen Worten, die Teignmouth
Electron war eigentlich nicht seetüchtig - und mit diesem Boot sollte er quer
durch das Südpolarmeer segeln, die gefährlichste Seepassage des gesamten
Erdballs! »Beim derzeitigen Zustand des Schiffs«, notierte er im Logbuch,
»wären meine Überlebenschancen, glaube ich, wahrscheinlich nicht besser als
50:50.« Und selbst das dürfte eine äußerst optimistische Einschätzung gewesen
sein.
    Es gab also kein Voran und
kein Zurück. Eine Sackgasse. Was blieben Donald Crowhurst in dieser Situation
noch für Möglichkeiten?
    Nun, er tat Folgendes: Er ließ
sich eine Lösung einfallen, die sogar unser aller Premierminister Ehre gemacht
hätte. Denn vor die Wahl zwischen zwei schlechten Alternativen gestellt - wie
Mr Blair, der sich zwischen dem marktliberalen Kapitalismus und dem
Staatssozialismus entscheiden musste -, ließ sich Donald Crowhurst eine andere
Möglichkeit einfallen: einen »dritten Weg«. Und selbst seine Kritiker hätten
einräumen müssen, dass es ein extrem mutiger und genialer Einfall war. Wenn
sich die Weltumseglung schon nicht bewältigen ließ, einhändig und ohne Zwischenstopp, musste er eben
zur zweitbesten Lösung greifen und ihre Bewältigung vortäuschen.
    Vergiss nicht, Poppy, es waren
die Sechziger Jahre. Alle Technologien, die uns heute selbstverständlich
geworden sind - E-Mail, Mobiltelefone, GPS -, mussten erst noch erfunden werden.
Nachdem Donald Crowhurst Segel gesetzt und aufs offene Meer hinausgesegelt war,
war er so allein, wie es ein menschliches Wesen nur sein kann. Seine einzige
Verbindung zur Welt war ein hoffnungslos unzuverlässiges Funkgerät. Es war mehr
als wahrscheinlich, dass er wochenlang, womöglich monatelang keinerlei
Verbindung zum Rest der Menschheit haben würde. Und ebenso wahrscheinlich war
es, dass während dieser ganzen Zeit der Rest der Menschheit nicht die leiseste
Ahnung haben würde, wo er sich gerade befand. Es gab keine andere Aufzeichnung
seiner Route als die, die er eigenhändig in sein Logbuch eintrug, und die
Positionen bestimmte er mit seinem eigenen Equipment. Also, was hätte ihn daran
hindern sollen, die Aufzeichnungen über seine Reise von vorne bis hinten zu
fälschen? Es bestand nicht die geringste Notwendigkeit, tatsächlich alle drei
Kaps zu umsegeln. Er konnte seelenruhig unter der afrikanischen Küste
entlangsegeln, dann hinüber nach Westen kreuzen, sich ein paar Monate im
Mittelatlantik herumtreiben lassen, um sich irgendwann unbemerkt hinter seinen
Konkurrenten einzureihen, nachdem sie Kap Hoorn umrundet hatten und wieder Kurs
auf Großbritannien nahmen. Er würde als geschmeidiger Vierter oder Fünfter das
Ziel erreichen, kein Mensch würde sich für seine Logbücher interessieren, und
die Ehre wäre gerettet.
    Zwei völlig verschiedene
Logbücher zu führen - eins über die tatsächliche Reise und ein gefälschtes -
erforderte einiges an Übung und Geschick, aber Crowhurst war dazu in der Lage.
Jedenfalls schien ihm dieser Plan der Aussicht auf Schande und Bankrott allemal
vorzuziehen. Er beschloss, es so zu machen, und der große Betrug nahm seinen
Anfang.
     
    Nachdem ich wieder in Shaldon
war, hab ich nicht mehr viel

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