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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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Selbstaufrichtungssystem, das sich im Fall des Kenterns
automatisch einschalten sollte, und gesteuert von einem - das Trumpf-As, das
Zauberwort, das 1968 alle elektrisierte - Computer.
    Augenblicklich aktivierte ich
all meine Aufmerksamkeit und Bewunderung für Donald Crowhurst. In den nächsten
Wochen sollte er in Teignmouth eintreffen - und ich konnte es kaum erwarten.
    Es war ein Förderausschuss
gebildet worden, in dem einer der Seglerfreunde meines Vaters eifriges Mitglied
war. Auf diese Weise wurden wir mit Informationen versorgt. Wir erfuhren, dass
Crowhursts Boot fertig war, die Bootswerft in Norfolk verlassen hatte und er
es bereits um die Küste von Devon herumsegelte. In wenigen Tagen musste er bei
uns eintreffen. Wie sich herausstellte, war es eine zu optimistische Einschätzung.
Kinderkrankheiten bremsten die Jungfernfahrt, die vier Mal so lange dauerte wie
geplant, und Crowhurst und sein Team trafen erst Mitte Oktober in Teignmouth
ein. Am Freitagnachmittag nach seiner Ankunft holte meine Mutter mich von der
Schule ab und fuhr mich hinunter zum Hafen, damit ich einen ersten Blick auf
meinen Helden und seine Vorbereitungen werfen konnte.
    Ich denke, so ziemlich jedes
Kind erlebt zu irgendeinem Zeitpunkt seines Lebens einen prägenden Moment, in
dem ihm die Bedeutung des Wortes >Enttäuschung< auf grausame Weise
bewusst wird. Einen Moment, in dem es erkennen muss, dass die Welt, die es bis
dahin als einen unerschöpflichen Vorrat an Verheißungen und Möglichkeiten
erlebt hat, in Wirklichkeit ein fehlerhafter, begrenzter Ort ist. Das kann ein
verheerender Moment sein, der noch Jahre nachwirkt und stärker in Erinnerung
bleibt als alle frühen Freuden und kindlichen Erregungen.
    Ich erlebte diesen Momentan
einem Freitagnachmittag Mitte Oktober, als ich Donald Crowhurst zum ersten Mal
mit eigenen Augen sah.
    Das sollte der Mann sein, der
das Weltumseglungsrennen der Sunday Times gewinnen, der den brillanten, erfahrenen Franzosen
Moitessier besiegen würde? Und das war die Teignmouth Electron, der letzte
Schrei modernen Segelbootdesigns, die durch die gewaltigen Wellen des
Südpolarmeeres pflügen würde, jede Nuance ihrer flinken Bewegungen von neuester
Computertechnologie temperiert und justiert?
    Ehrlich gesagt erschien mir
beides nicht sehr glaubwürdig. Crowhurst gab eine klägliche, bedauernswerte
Figur ab: Nach den großen Tönen, die er in allen seinen Zeitungsinterviews
gespuckt hatte, hatte ich jemanden erwartet, der Zuversicht ausstrahlt, eine
Art Verwegenheit, oder anders ausgedrückt, eine Präsenz. Stattdessen wirkte er
kleinmütig und besorgt. Ich habe den Eindruck (natürlich rückblickend), dass er
beunruhigt war, verschreckt vom Scheinwerferlicht, das man auf ihn richtete,
und vom Gewicht der Verantwortung, die man ihm auf die Schultern gelegt hatte.
Und was die viel gepriesene Teignmouth Electron betraf, sah sie nicht nur
selber kümmerlich und zerbrechlich aus, auch bei Vorbereitungen um das Boot
herum ging es drunter und drüber. Das Boot selbst schien noch im Bau zu sein,
jeden Tag kamen Scharen von Handwerkern an Bord und führten zahllose
Reparaturen aus, während sich am Kai eine verwirrende und stetig wachsende
Anzahl von Vorratskisten und Ausrüstungsgegenständen stapelte - alles stand
kunterbunt durcheinander, von Zimmermannswerkzeug und Funkausrüstung bis hin zu
Dosensuppen und Corned Beef. Mitten in diesem Chaos fuhrwerkte Crowhurst
ziellos herum, posierte für die stets gegenwärtigen Kamerateams, stritt mit
seinen Bootsbauern, lief ein ums andere Mal zurTelefonzelle, um bei säumigen
Ausrüstern zu reklamieren, und von Tag zu Tag waren ihm die Sorgen deutlicher
vom Gesicht abzulesen.
    Bis endlich der große Moment
kam, am 31. Oktober 1968. Ein regnerischer und ungemütlicher
Donnerstagnachmittag. Der Auflauf am Hafen war nicht zu vergleichen mit den
Massen, die ein Jahr zuvor zu Chichesters Begrüßung nach Plymouth gepilgert
waren, das ist mal sicher - wir waren vielleicht sechzig oder siebzig Leute.
Unser Lehrer hatte der ganzen Klasse früher frei gegeben, damit jeder an dem
Ereignis teilnehmen konnte, und alle hatten das Angebot dankend angenommen,
aber wohin meine Mitschüler gegangen waren, weiß ich nicht, jedenfalls nicht
zum Hafen, um den Weltumsegler Donald Crowhurst zu verabschieden. Ich war das
einzige Kind im Schulalter, das dort war, dessen bin ich mir sicher. Meine
Mutter war bei mir, mein Vater muss wohl noch bei der Arbeit gewesen sein, und
wo deine Mutter

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