Coe, Jonathan
über Donald Crowhurst nachgedacht. Der schlecht
organisierte, würdelose Charakterseiner Abreise hatte den Glauben an meinen
Helden irgendwie erschüttert. Hinzu kam, dass er in den Zeitungsberichten über
die ersten paar Wochen des Rennens kaum einmal Erwähnung gefunden hatte. Einige
seiner Kontrahenten waren bereits ausgeschieden, und von den Verbliebenen schienen
in erster Linie Robin Knox-Johnston, Bernard Moitessier und Nigel Tetley die
Fantasie der Journalisten zu beschäftigen. Ich kann mich allerdings gut
erinnern, wie aufgeregt ich war, als Crowhurst an einem Tag im Dezember
plötzlich wieder in den Nachrichten war - an dem Wochenende beherrschte er
sogar die Schlagzeilen auf den Sportseiten -, nachdem die Sunday Times berichtete, dass er den
Weltrekord für die längste von einem Einhandsegler je an einem einzigen Tag
zurückgelegte Strecke gebrochen hatte - etwa im Bereich von zweihundertvierzig
Seemeilen, glaube ich. Das musste kurz nach seinem Entschluss passiert sein,
gefälschte Aufzeichnungen über den Verlauf seiner Reise zu führen.
Danach verfolgte ich das
Rennen, so gut ich konnte, schnitt jeden Sonntag die neuesten Artikel aus der
Zeitung aus und klebte sie in das neue Sammelalbum, das meine Mutter mir zu
diesem Zweck im Postamt in Teignmouth gekauft hatte; aber um Crowhurst wurde es
sehr schnell wieder still. In dem Frühling hatten sie mich zum Torhüter der
Schul-Fußballmannschaft gemacht, und meine Begeisterung für Fußball begann die
Leidenschaft für das Segeln zu verdrängen. Außerdem schafften meine Eltern sich
ihren ersten Wohnwagen an, und in den Osterferien fuhren wir damit in den New
Forest. Ich weiß noch, wie ich mich darüber geärgert habe, dass deine Mutter
(die damals schon fast zehn war) die ganze Woche über Dolly gelesen hat, statt mit mir zu
spielen. Und dass The Move mit »Blackberry Way« und Peter
Sarstedt mit seinem Endlossong »Where Do You Go To« bei Top ofthe Pops waren. Solche Dinge sind mir aus den
ersten Monaten des Jahres 1969 im Gedächtnis geblieben: Familienleben, Alltagsleben.
Ein Leben inmitten anderer Menschen.
Zur selben Zeit war Donald
Crowhurst irgendwo auf dem Atlantik dabei, langsam den Verstand zu verlieren.
Eisig teilt der
fortschreitende Wahnsinn sich seinen Logbüchern mit. Ich glaube, so ganz ohne
jede menschliche Gesellschaft, ohne die Möglichkeit, über Funk mit seiner Frau
und seinen Kindern zu reden - denn damit hätte er seine Position verraten -,
ist es kein Wunder, dass er während dieser langen einsamen Monate Trost im
schweigsamen Zwiegespräch mit Stift und Papier gefunden hat. Zuerst waren es
neben - richtigen und falschen - Positionsangaben ziemlich ausschweifende
Einschätzungen seiner aktuellen Situation, die er zu Papier brachte,
Reflexionen über das Leben auf dem Meer, hin und wieder ein Gedicht. Dieses
hier, zum Beispiel, hat er geschrieben, nachdem eine zerzauste, zitternde Eule
sich eine Weile in Crowhursts Takelage niedergelassen und ihn auf den Gedanken
gebracht hatte, es könnte sich um die Schwächste eines Migrationsflugs
gehandelt haben, »eine Außenseiterin, genau wie viele ihrer menschlichen
Entsprechungen aller Wahrscheinlichkeit nach dazu bestimmt, einsam und
namenlos zu sterben, fern von ihresgleichen«:
Spart euch ein Mitleid auf für
den Außenseiter, der
weiterkämpft, bis ihm das Herz
zerspringt;
Keine Spur von normalem Verstand, denn normal ist er
nicht.
Spart ihm ein Mitleid auf. Aber den größten Teil spart
euch auf
Für den, der vom Leuchtturm des Außenseiters keinen
Schimmer erkennt.
Später, als der Schrecken
seiner aussichtslosen Lage ihn immer stärker niederdrückte, wurden Crowhursts
Logbucheinträge noch sonderbarer. Ganz abgesehen von der tiefen Isolation, in
die er sich begeben hatte - Monate absoluter Einsamkeit, in denen es um ihn
herum nichts zu sehen gab als die ewig rollende Unermesslichkeit des Ozeans -,
beschäftigte ihn ja noch die aufkeimende Erkenntnis, dass er, wenn er diesen
Betrug bis zum Ende durchzog, für den Rest seines Lebens mit einer gewaltigen
Lüge leben musste. Journalisten oder auch Segelkameraden in der Bar des
Jachtclubs Bären aufzubinden - fesselnde Erzählungen von Heldentaten im
aufgewühlten Ozean, den Schrecken des Südpolarmeers, den Nervenkitzeln der
Umseglung des Kaps, die er dutzendweise auf Lager gehabt hätte -, würde eine
Sache sein, aber was sollte er seiner Frau erzählen? Könnte er auch an ihrer
Seite lügen, Nacht für Nacht, in
Weitere Kostenlose Bücher