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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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gesteckt hat, weiß ich nicht. Du müsstest sie selber fragen.
Ich kann mich erinnern, dass die Stimmung unter den Zuschauern mindestens so
skeptisch wie feierlich war. Crowhurst hatte sich im Lauf der letzten Wochen
eine stattliche Anzahl an Kritikern in Teignmouth zugelegt, und damit, dass er
zum großen Aufbruch in einem beigen V-Ausschnitt-Pullover mit Oberhemd und
Krawatte erschien, vermochte er sie nicht gerade zu besänftigen. Mir drängte
sich der Gedanke auf, dass ein Bernard Moitessier wohl kaum dieses Outfit für
seine Abreise gewählt hätte. Aber es kam noch viel schlimmer: Crowhurst segelte
um Punkt drei Uhr los und kam sofort in Schwierigkeiten; die Segel ließen sich
nicht setzen, und er musste zurück an den Kai geschleppt werden. Die Leute
spotteten immer lauter, und so mancher machte sich bereits auf den Heimweg.
Meine Mutter und ich harrten aus und schauten zu. Es dauerte fast zwei Stunden,
das Problem zu beheben, der Abend dämmerte bereits. Um kurz vor fünf setzte er
endlich wieder Segel, und diesmal klappte es. Drei Barkassen begleiteten ihn -
auf einer befanden sich seine Frau und seine vier Kinder, dick verpackt in ihre
Dufflecoats, ein damals für Jungs wie Mädchen unerlässliches Kleidungsstück.
Trotz der Tatsache, dass Crowhurst eine so wenig eindrucksvolle Figur abgab,
beneidete ich sie damals darum, ihn zum Vater zu haben, in den Mittelpunkt der
Aufmerksamkeit gerückt zu sein, sich als etwas Besonderes fühlen zu dürfen.
Ihre Barkasse folgte der Jacht etwa eine Seemeile, dann winkten sie ihm zum
Abschied, drehten um und kehrten zurück. Crowhurst segelte weiter, in die Ferne
und über den Horizont, Monaten der Einsamkeit und Gefahr entgegen. Meine
Mutter nahm mich an die Hand, und wir gingen zusammen nach Hause, voller
Vorfreude auf Wärme, Tee und das Abendprogramm im Fernsehen.
     
    Was waren das für Kräfte, die
in den folgenden Monaten auf Donald Crowhurst einwirkten? Was hat ihn dazu
bewogen, so zu handeln, wie er es getan hat?
    Das meiste, was ich über die
Crowhurst-Geschichte weiß - abgesehen von meinen eigenen Erinnerungen an den
Aufbruch aus dem Hafen - verdanke ich dem ausgezeichneten Buch zweier
Journalisten der Sunday Times, Nicholas Tomalin und Ron Hall, denen man Monate nach
Crowhursts Tod auf See Zugang zu seinen Logbüchern und Tonbandaufnahmen
gewährte. Sie gaben ihrem Buch den Titel Die sonderbare Reise des Donald Crowhurst, und an einer Stelle zitieren
sie ihn mit Worten, die er nicht lange nach dem Beginn der Reise seinem
tragbaren Tonbandgerät anvertraute: »Einhandsegeln setzt einen ziemlich stark
unter Druck, es fördert die Schwächen, die man hat, mit einer solchen
Unerbittlichkeit zutage wie kaum eine andere Beschäftigung.«
    In Crowhursts Fall generierte
sich dieser Druck offensichtlich durch das Alleinsein auf See - der beengte
Raum, der ständige Lärm, die ständige Bewegung, die Feuchtigkeit, die ungeheuerliche
Einsamkeit seiner Kajüte -, aber es gab auch noch andere Ursachen. Zwei, um
genau zu sein. Die eine war sein Presseagent Rodney Hallworth, die andere sein
Sponsor, ein örtlicher Geschäftsmann namens Stanley Best, der den Bau
desTrimaran finanziert hatte und jetzt sein Eigner war, sich allerdings vertraglich
hatte zusichern lassen, dass Crowhurst das Boot zurückkaufen musste, wenn er
das Rennen nicht antrat oder vorzeitig aufgab. Was nichts anderes hieß, als
dass er die Umseglung um jeden Preis vollenden musste: Jeder andere Ausgang
hätte seinen Bankrott bedeutet.
    Der Druck, der von Hallworth
ausging, war etwas subtiler, aber keineswegs weniger beharrlich. Hallworth
hatte die letzten Monate damit verbracht, Crowhurst zur Heldenfigur aufzubauen.
Ein Mann, der im Grunde kaum mehr als ein Freizeitsegler war, sollte jetzt -
zumindest in den Augen der zeitunglesenden Öffentlichkeit - die Rolle des
einsamen, kühnen Herausforderers spielen, die Verkörperung mittelenglischer
Courage und Robustheit, ein tapferer David, der es mit den Goliaths der
Seglerei aufnahm. Hallworth war dabei mit so viel Brillanz wie
Bedenkenlosigkeit vorgegangen. Es fällt schwer, in ihm nicht den Prototyp
eines Imagemachers zu sehen, bevor ein solcher Begriff überhaupt geprägt
worden war. Auf jeden Fall war es ihm gelungen, Crowhurst das Gefühl zu geben,
dass er sein Publikum auf keinen Fall enttäuschen durfte, und schon gar nicht
seinen Presseagenten, der so viel Arbeit in ihn investiert hatte. Es gab für
ihn kein Zurück.
    Er war jedoch noch nicht

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