Coe, Jonathan
dem Wissen, dass ihre Liebe und Bewunderung
für ihn sich nicht zuletzt aus den heldenhaften Taten speiste, die zu
vollbringen er auch nicht annähernd in der Lage gewesen war? Konnte er diese
Wahrheit in den nächsten vierzig oder fünfzig Jahren verbergen? Ich habe von
der »ungeheuerlichen Einsamkeit« seiner Kajüte geschrieben. Wie ungeheuerlich
einsam würde er sich dann in seiner Ehe fühlen müssen, die nun auf einer so
großen Lüge aufbaute?
Und dann, ein paar Monate
später, kurz vor dem endgültigen Ende seiner Fahrt, wurde seine Lage noch
verzweifelter. Jetzt wurde er tatsächlich zum Opfer des Erfolgs seiner eigenen
Manipulationen und Übertreibungen. Denn als er ins Rennen zurückgekehrt war
und einem fassungslosen Rodney Hallworth (der ihn nach monatelanger Funkstille
für tot gehalten haben musste) seine Position übermittelte, wurde die Nachricht
von seinem scheinbaren Fortkommen an Nigel Tetley weitergeleitet - dem neben
Robin Knox-Johnston letzten im Rennen verbliebenen Segler. (Moitessier war
erstaunlicherweise ausgestiegen, nachdem er Kap Hoorn in guter Zeit umrundet
hatte, weil er den ausgelobten Geldpreis und die damit verbundene Publicity als
Verhöhnung seiner ideellen Motivation erlebte.) Knox-Johnston würde zwar den
Preis für den ersten Heimgekehrten gewinnen, aber nicht die fünftausend Pfund
für die schnellste Weltumseglung, denn er war schließlich Monate vor den
anderen losgesegelt. Auf einmal schien es ein offenes Rennen zwischen Tetley
und Crowhurst zu sein. Tetley lag vorne, aber Crowhurst schien in rasantem
Tempo aufzuholen. Tetley beschloss, kein Risiko einzugehen. Er peitschte seinen
Trimaran (der ironischerweise den Namen Victress trug) auf der Zielgeraden noch
einmal gnadenlos nach vorn. Aber das Boot hatte im Südpolarmeer stark gelitten
und löste sich bereits in seine Bestandteile auf. Eines Nachts - während er
schlief - brach der Steuerbordbug ab und schlug ein Leck in den Bug des
Hauptrumpfes. Wasser strömte ins Boot. Er sah mit einem Blick, dass nichts mehr
zu machen war, dass er einen Notruf abschicken und das Boot aufgeben musste.
Er lud seinen Kamerafilm, Logbücher und den Notrufsender in das aufblasbare
Rettungsboot, und dann verbrachte er den größten Teil des Tages damit,
verängstigt auf dem Atlantik zu treiben, ehe er am späten Nachmittag von einem
amerikanischen Suchflugzeug geortet und an Bord genommen wurde. FürTetley war
das Rennen vorbei, ein Traum zerstört.
Und Crowhurst hätte kaum etwas
Schlimmeres passieren können, jetzt würde er der eindeutige Gewinner des Preises
für die schnellste Umseglung sein und war sich intensivster Aufmerksamkeit der
Medien gewiss. Rodney Hallworth telegrafierte ihm bereits Einzelheiten des
Empfangs, den sie ihm bereiten würden: kreisende Hubschrauber, Kamerateams,
Bootsladungen von Reportern. Sehr bald schon würden seine Logbücher peinlich
genauester Prüfung unterzogen - und im Herzen musste er gewusst haben, dass sie
diese Prüfung nicht bestehen konnten. Und wie hätte er als entlarvter Betrüger
weiterleben sollen? Stanley Best würde sein Geld zurückhaben wollen. Hallworth
stünde als Witzfigur da. Und Crowhursts Ehe würde unter dem Druck womöglich in
die Brüche gehen ...
Angesichts der
Aussichtslosigkeit seiner Lage, der Gewissheit, dass auch sein dreister
»dritter Weg« in eine Sackgasse geführt hatte, gab Crowhurst schlicht und
einfach auf. Statt zu rennen, schlenderte er. Er verfiel in Trübsal, ließ das
Boot ungesteuert durch stehende, tangverseuchte Gewässer dümpeln, während er
unter Deck saß, splitternackt in dampfender Hitze, und systematisch versuchte,
seinen Funksender zu reparieren - er musste ihn zu diesem Zweck praktisch ganz
zerlegen und neu zusammenbauen, mit dem ständigen Risiko eines heftigen
Stromstoßes oder einer Verletzung durch den Lötkolben, eine Arbeit, die fast
zwei Wochen dauerte. Immerhin hinderte ihn dieses Projekt für eine Weile an
allzu gründlicher Selbstbeschau. Als er fertig war, in den heißen und einsamen
Tagen danach, blendete Crowhurst jeden Gedanken an die bevorstehende Rückkehr
aus und verlor sich stattdessen in einer Fantasiewelt pseudophilosophischer Spekulation.
Inspiriert durch das einzige Buch, das er auf die Reise mitgenommen hatte
(Einsteins Crundzüge
der allgemeinen Relativitätstheorie), begann er, die Seiten seines Logbuchs mit Worten zu überschütten,
die Buchstaben so fest mit der Spitze des Bleistifts ins Papier zu ritzen, dass
es an
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