Coe, Jonathan
manchen Stellen zerriss. Tausende von Worten. Aus heutiger Sicht zeigen
sie bis ins Detail den Prozess eines sich unter psychischem Druck in seine
Bestandteile auflösenden Verstandes. Er begann sich einem der größten Rätsel
der Mathematik zu widmen - der imaginären Zahl: der Quadratwurzel von minus
eins.
Ich führe diese Idee √-1
ein, weil [sie] direkt in den schwarzen Tunnel des Raum-Zeit-Kontinuums führt,
und sobald aus diesem Tunnel die Technologie heraustritt, wird die »Welt enden«
(ich glaube, ungefähr um das Jahr 2000, wie oft vorhergesagt) insofern, als wir
Zugang zu den Möglichkeiten einer »außerphysischen« Existenz haben werden,
womit die Notwendigkeit einer physischen Existenz aufgehoben ist.
Er verfolgte das Thema weiter,
stieg immer tiefer in das Reich der Fantasie hinab, bis er zu der Überzeugung
gelangte, dass die menschliche Rasse am Rande einer enormen Veränderung stand -
dass er zusammen mit ein paar Auserwählten im Begriff war, zur »zweiten
Generation kosmischer Wesen« zu mutieren, die ganz außerhalb der materiellen
Welt existierten, auf eine vollkommen abstrakte und ätherische Weise dachten
und kommunizierten, die Grenzen des Raums durchbrechen konnten und nicht mehr
darauf angewiesen sein würden, in einem physischen Körper, in körperlicher
Beziehung zu anderen Menschen leben zu müssen. Als Träger einer solch
folgenreichen Neuigkeit begann er sich selbst als Persönlichkeit von großer
Bedeutung zu sehen, eine Art Messias, auch wenn er sich darüber im Klaren war,
dass er für den Rest der Welt weiterhin ein wesentlich minderwertigeres Wesen
bleiben würde: Er war dazu verurteilt, als »Außenseiter« betrachtet zu werden -
»der aus dem System ausgeschlossene Außenseiter - die Freiheit, das System zu
verlassen«. Schließlich, am letzten Tag seines Lebens, wurden seine Kritzeleien
noch unzusammenhängender und abstrakter (»es kann nur eine vollkommene
Schönheit geben/das ist die große Schönheit der Wahrheit«), und sein Gefühl,
gesündigt, gelogen, alle anderen verraten zu haben, gewann die Überhand:
Ich bin was ich bin, und ich
sehe die Natur meines Vergehens.
In seinen letzten
Niederschriften zeigt sich Crowhurst auch von der Zeit besessen - wahrscheinlich
hatdas monatelange Notieren seiner wahren und falschen Positionen auf dem
Angesicht der Erde es ihm verleidet, noch länger in räumlichen Dimensionen zu
denken. Er hatte damit begonnen, jedem seiner Sätze eine exakte Zeitangabe
voranzustellen. Deshalb wissen wir, dass er zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen
10:29 Uhr und 11:15 Uhr am 1. Juli 1969 die Worte niederschrieb, die so gut wie
seine letzten waren:
Es ist vollbracht –
Es ist vollbracht –
ES IST DIE GNADE
Nachdem er noch ein paar
gequälte Sätze hinzugefügt hatte, nahm er seinen Chronometer und das Logbuch
mit den gefälschten Positionsangaben, kletterte auf das Heck der Teignmouth
Electron und verschwand, um nie wiedergesehen zu werden.
In diesem Sommer des Jahres
1969 mangelte es uns nicht an Helden. Die Nachricht, dass Crowhursts Jacht
mitten auf dem Ozean entdeckt worden war, und dass er vermisst und
wahrscheinlich tot war, erschien in der Sonntagszeitung vom 13. Juli. Zwei
Wochen später, am 27. Juli, beherrschte er wieder die Titelseiten, aber
diesmal, weil man seine Logbücher gelesen und seinen Betrug aufgedeckt hatte,
und die Artikel drehten sich nur noch um seinen Versuch, der Sunday Times und der britischen Öffentlichkeit
einen bemerkenswerten Streich zu spielen. Ich erinnere mich, diese Geschichten
mit großer Fassungslosigkeit gelesen zu haben, vielleicht auch mit dem
kindlichen Gefühl, verraten worden zu sein. Aber dann ereignete sich genau
zwischen diesen beiden Sonntagen, am 20. Juli 1969, eine andere Geschichte, die
etwas den Hunger des Menschen auf Entdeckungen, heroische Großtaten, die Frage
nach seinem Stellenwert in den Dimensionen des Alls befriedigte: Neil
Armstrong ging als erster Mensch auf dem Mond spazieren.
Mit anderen Worten, es war ein
Sommer der Wunder. Aber seltsamerweise sind es das Wunder meines ehemaligen Helden
Donald Crowhurst und sein tragischer Absturz, die mir im Gedächtnis geblieben
sind und mich beharrlich durch die Jahre verfolgt haben. Und deshalb bin ich
heute so fasziniert von der Tatsache, dass es auch andere Menschen - unter
ihnen Tacita Dean - verfolgt hat. Ich frage mich, was diesen Nachklang auslöst.
Schließlich ist Crowhurst alles andere als eine
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