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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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Zahnbürsten immer noch gut dasteht. Die Kapitalausstattung ist gut, die
Liquidität ausgezeichnet. Wir glauben zuversichtlich, diese Rezession aussitzen
zu können. Ohne übermütig zu werden, verstehst du? Ich sage das voller Zuversicht.
Leiser Zuversicht, oder, Lindsay?«
    »Absolut«, sagte Lindsay in
ihrem freundlich-dezenten schottischen Akzent. »Erst vorhin bei unserer
Strategiesitzung hat Trevor nämlich ein sehr gutes Argument vorgebracht, Max.
Wenn ich paraphrasieren darf, Trevor?«
    »Paraphrasiere nur, frei von
der Leber weg.«
    »Also, Trevors Argumentation
ging wie folgt. Wir steuern auf eine globale Rezession zu, nicht wahr, Max? Und
jetzt frage ich Sie: Kaufen Sie sich dieses Jahr ein neues Auto?«
    »Wohl kaum. Im Moment brauche
ich es so gut wie nie.«
    »Verständlich. Und planen Sie
diesen Sommer einen Auslandsurlaub mit Ihrer Familie, Max?«
    »Na ja, meine Familie  ...
also, sie leben eigentlich nicht mehr mit mir zusammen. Ich fürchte, sie planen
ihren Urlaub ohne mich.«
    »Verstehe. Aber würden Sie mit
ihnen ins Ausland reisen, wenn sie noch mit ihnen zusammenleben würden?«
    »Nein, wahrscheinlich nicht.«
    »Eben. Sie würden also
angesichts der gegenwärtigen ökonomischen Verhältnisse sich weder ein neues
Auto kaufen noch einen Auslandsurlaub machen. Und nun sagen Sie mir, Max  ...«
- sie beugte sich vor, als wollte sie zum alles entscheidenden Schlag ausholen
- »  ...beabsichtigen
Sie auch bei der Pflege Ihrer Zähne Einsparungen vorzunehmen?«
    Ich musste einräumen, dass ich
keinerlei Absichten hegte, bei der Zahnpflege zu sparen. Womit ich ihre
Argumentation auf das Triumphalste bestätigte.
    »Eben!«, sagte sie. »Die
Menschen putzen sich immer die Zähne und brauchen immer Zahnbürsten. Das ist
das Schöne an einer bescheidenen Zahnbürste. Sie ist ein rezessionssicheres
Produkt.«
    »Aber«, sagte Trevor und hob
warnend den Zeigefinger, »wie ich vorhin gesagt habe, ist das noch lange kein
Grund, übermütig zu werden. Die Mundhygiene ist ein umkämpfter Markt.«
    »Sehr umkämpft«, pflichtete
Lindsay ihm bei.
    »Intensiv umkämpft. Ein
Tummelplatz äußerst potenter Unternehmen. Da haben wir Oral-B, da haben wir
Colgate, da haben wir GlaxoSmithKline.«
    »Namen mit Gewicht«, sagte
Lindsay.
    »Absolute Schwergewichte«, sagte Trevor. »Das sind die
Goliaths im Zahnbürsten-Business.«
    »Gutes Bild, Trevor.«
    »Ist von Alan.«
    »Wer ist Alan?«, fragte ich.
    »Alan Guest«, erklärte Trevor,
»der Gründer, Besitzer und geschäftsführende Direktor von Guest Zahnbürsten.
Das ganze Ding ist sein Baby. Er hat früher für einen der Großen gearbeitet,
aber irgendwann hat er sich gesagt, genug ist genug. Es muss doch auch anders
gehen. Mit den Titanen und ihren Geschäftsmodellen war er fertig. Er wollte
David sein.«
    »David wer?«, fragte Lindsay.
    »David, der kleine Kerl, der
gegen Goliath angetreten ist«, erklärte Trevor, leise verärgert durch die
Unterbrechung. »Den Nachnamen weiß ich nicht. In der Bibel steht nichts von
einem Nachnamen.«
    »Ah. Jetzt hab ich es kapiert.«
    »Alan erkannte«, fuhr Trevor
fort, »dass er es mit den Großen auf deren eigenen Spielfeld nicht aufnehmen
konnte. Das Gefälle war zu stark. Also beschloss er, die Torpfosten zu versetzen.
Er hatte eine Vision, er konnte die Zukunft sehen. Wie Lazarus auf der Straße
nach Damaskus.«
    »Der ist von den Toten auferstanden«, sagte Lindsay.
    »Was?«
    »Lazarus ist von den Toten
auferstanden. Der auf der Straße nach Damaskus muss jemand anders gewesen sein.
Meines Wissens ist Lazarus nie in Damaskus gewesen.«
    »Und da bist du ganz sicher?«
    »Na ja, was weiß ich?
Vielleicht ist er hin und wieder doch da gewesen. Möglich, dass er in Damaskus
Verwandte gehabt hat oder so.«
    »Nein, ich meine, ob du sicher
bist, dass der mit der Vision nicht Lazarus gewesen ist.«
    »Neunzig Pro. Vielleicht fünfundneunzig.«
    »Okay, ist ja auch wurscht.
Wie gesagt, Alan hat genau erkannt, welche Fehler die Großen machen. Er hat die
Zukunft gesehen. Grüne Zahnbürsten.«
    »Grüne?«, fragte ich verwirrt.
    »Ich meine nicht die Farbe.
Wir reden hier über die Umwelt, Max. Wir reden über erneuerbare Energien,
erneuerbare Quellen. Was meinst du - wo werden die meisten Zahnbürsten hergestellt?«
    »In China?«
    »Korrekt. Und aus was werden sie hergestellt?«
    »Aus Plastik?«
    »Ebenfalls korrekt. Und die
Borsten, aus was werden die hergestellt?«
    Der stellte Fragen. »Keine
Ahnung.

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