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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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sei zusammengebrochen, und die Reparatur habe
Ewigkeiten gedauert. Ich schrieb ihr, mein kleines Schmuckgeschäft in Brighton
beginne die ersten Auswirkungen der Kreditkrise zu spüren. Ich loggte mich auf
die Website des Daily Telegraph ein, warf einen schnellen Blick auf die Nachrichten
des Tages und fragte Caroline, ob sie daran glaube, dass man den Bonuszahlungen
für Bankmanager tatsächlich ein Ende machen werde. Das alles ergab schließlich
drei Absätze, und zu mehr war ich für den Augenblick nicht in der Lage. Unten
drunter schrieb ich: »Pass auf dich auf, lass von dir hören, Liz« und setzte
einen kleinen gelben Smiley dahinter.
    Caroline antwortete etwa nach
einer Stunde. Es war eine ihrer üblichen E-Mails, warm und offen, aufgepeppt
mit ihrer etwas schrägen Ironie, mit vielen mitfühlenden Fragen zu Liz' Alltag,
ob sie glaube, dass ihr Geschäft es schaffen werde,und so weiter. Als ich sie
ausdruckte, ergab sie zwei Seiten. Lucy war im zweiten Jahr auf der höheren
Schule und schien gut zurechtzukommen. In Naturwissenschaften musste sie eine
»überaus attraktive« Lehrerin bekommen haben. Im letzten Absatz erzählte
Caroline ein bisschen von sich selber: Ihre Schreiberei gewinne endlich an
Schwung, sie habe eine gute Literaturgruppe gefunden, man treffe sich jeden
Dienstagabend in Kendal, der Durchbruch sei gekommen, als sie begonnen habe,
auf ihre eigenen Lebenserfahrungen zurückzugreifen - vorwiegend auf Episoden
aus ihrer Ehe -, aber sie schreibe in der dritten Person, damit eine gewisse
»Distanz und Objektivität« gewährleistet bleibe. Zufällig sei sie vor ein paar
Tagen mit einer kurzen Erzählung fertig geworden - ob Liz nicht Lust habe, sie
zu lesen und vielleicht sogar ein bisschen konstruktive Kritik zu leisten?
    Ich muss gestehen, dass ich
jetzt doch langsam Bauchschmerzen bekam. Es kam mir vor, als würde ich in
Carolines Dessous oder dem Korb mit der Schmutzwäsche stöbern. Es war eine
hässliche Faszination mit im Spiel, die mich immer mehr abstieß. Wie konnte sie
so viel für eine erfundene Person (Liz) empfinden und so wenig für eine reale
(mich). Meine Gedanken gingen zurück zu dem Brief von Poppys Onkel, der
Schilderung von Donald Crowhursts Abstieg in den Wahnsinn. Was hatte er in sein
Logbuch geschrieben? Angefangen hatte es mit seinem Versuch, die Quadratwurzel
von minus eins zu berechnen, und der hatte ihn zu abstrusen Mutmaßungen über Menschen
geführt, die zu »Wesen der zweiten kosmischen Generation« mutiert waren und auf
eine ganz und gar unkörperliche, immaterielle Weise miteinander in Verbindung
traten. Ja - vielleicht war er gar nicht so verrückt gewesen. So etwa um das
Jahr 2000 herum, hatte er vorhergesagt, oder? Mit anderen Worten, ziemlich
genau die Zeit, als jedermann das Internet zu nutzen begann. Eine Erfindung,
die es jemandem wie Caroline inzwischen erlaubte, ihre engste Beziehung mit
einer Person zu haben, die nichts weiter war als ein Produkt meiner Fantasie.
    Ich
legte den Ausdruck mit ihrer E-Mail zur Seite, rieb mir die Augen und
schüttelte heftig den Kopf. Was für ein absurder Gedankengang. Nein danke, ich
wollte Donald Crowhurst nicht in den dunklen Tunnel folgen. Ich würde jetzt
nach unten gehen, mir eine Tasse Tee und der lächerlichen Charade um »Liz
Hammond« ein Ende machen, solange ich noch konnte. Das war meine letzte E-Mail
gewesen. Keine Hinterhältigkeiten mehr. Keine Täuschungen mehr.
    Aber
auf die Erzählung war ich doch ein bisschen neugierig.
     
    9
     
    »Ich weiß, was du denkst«, sagte Trevor. »Du denkst,
dass wir möglicherweise schon am Rande einer ökonomischen Katastrophe stehen.
Oder vielmehr direkt am Abgrund.«
    Nein, daran hatte ich
eigentlich nicht gedacht. Ich hatte gedacht, wie gut es doch tat, Trevor
wiederzusehen. Dass seine Energie und Begeisterung noch genauso ansteckend
waren wie früher. Und dass es schön war, neben Lindsay Ashworth zu sitzen,
seiner Kollegin, die er als Überraschungsgast mitgebracht hatte. Und dann
dachte ich noch, dass ich es nie für möglich gehalten hätte, dass irgendjemand
- nicht einmal Trevor - sich in einer derartigen Ausführlichkeit und Unbeirrtheit
über Zahnbürsten auslassen konnte, wie er es jetzt schon die gesamte halbe
Stunde lang tat, die wir in der Hotelbar saßen.
    »Natürlich sind wir alle etwas
nervös, was die wirtschaftliche Situation angeht«, fuhr er fort. »Um uns herum
sterben die kleinen Unternehmen wie die Fliegen. Aber ich kann sagen, dass
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