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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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auch überzeugt davon sein.«
    Die Runde fiel in eine leichte
Schockstarre, nachdem ich das gesagt hatte; um sie zu brechen - vielleicht
auch, um meine Intervention zu rechtfertigen -, erklärte Poppy: »Max hat ziemlich
lange im Verkauf gearbeitet.«
    »In der Finanzbranche?«,
fragte Jocasta.
    »Das ist seltsam«, sagte
Richard. »Ich meine mich zu erinnern, dass Sie vorhin zu Clive gesagt haben,
Sie würden Zahnbürsten verkaufen?«
    »Nein, nicht in der
Finanzbranche«, musste ich einräumen - und wünschte mich weit, weit fort von
dieser Tafel. »Ich habe ... Freizeitartikel für Kinder verkauft. Und jetzt, ja,
ich bin tatsächlich im Begriff, in die Zahnbürsten-Branche zu wechseln. Das
ist richtig.« Ich konnte Jocasta vom Gesicht ablesen, dass ihr nächster
Lachanfall bevorstand. Richard sagte nichts, auch wenn um die Mundwinkel herum
eine gewisse Verächtlichkeit deutlich zu erkennen war. Jedenfalls deutlich
genug, um mich hinzufügen zu lassen: »Ich finde das wirklich sehr spannend.
Wissen Sie, ich werde keine dreihunderttausend im Jahr verdienen und auch
keinen Bonus von fünfhunderttausend Pfund einsacken, aber ich weiß wenigstens,
dass ich ein verdammt gutes Produkt verkaufe. Erstklassig entworfen, kein
Fließbandprodukt, sondern mit Sorgfalt und ein paar Gedanken an die Zukunft
hergestellt ...« Meine Stimme verebbte, mir war klar, dass alle Blicke auf mich
gerichtet waren. »Zahnbürsten«, schloss ich ein bisschen lahm, »brauchen wir
schließlich alle, oder?«
    Clive erhob sich und fing an,
das Geschirr abzuräumen. »Richtig«, sagte er. »Und allemal dringender als einen
Dual Power Discount Swap.«
    Nachdem er den Raum verlassen
hatte, wollte Charlotte von Richard wissen: »Dann suchen Sie jetzt nach etwas
Neuem?«
    »Nein, nicht sofort. Ich muss
erst mal wieder Fuß fassen. Ein Jahr lang oder so sollten wir zurechtkommen.
Und wenn alle Stricke reißen, verkaufe ich den Porsche.«
    Jocasta warf ihm einen Blick zu,
als hätte er gerade seine Absicht erklärt, sie auf den Strich zu schicken.
Poppy lachte: »Mit dem fahrt ihr doch sowieso nicht. Das Auto habt ihr seit
drei Monaten nicht vor eurem Haus wegbewegt.«
    »Weil wir sonst den Parkplatz
los sind«, zischte Jocasta ohne die geringste Spur Selbstironie. Sie erhob
sich, um zur Toilette zu gehen.
    Richard wandte sich
demonstrativ von mir ab und begann eine lange und lebhafte Diskussion mit
Poppy. Nach allem, was ich mitbekam, flirtete er ganz unverhohlen mit ihr. Mir
war aufgefallen, dass er und Jocasta sich schon den ganzen Abend nicht viel zu
sagen gehabt hatten, und mir kam der Gedanke, dass der Verlust seines Jobs und
seines Status auch für die Beziehung eine Belastung sein konnte. Aber was in
aller Welt fand Poppy an diesem selbstherrlichen Ochsen? Ich strengte mich an,
so viel wie möglich mitzubekommen, aber das war nicht einfach, weil Clive sich
gerade anschickte, mich in ein Gespräch über Donald Crowhurst zu verwickeln
(»Poppy sagt, seine Geschichte hätte Ihnen zu denken gegeben«), während ihre
Mutter grimmigen Small Talk über einen Freund der Familie machte, der gerade
ein Cottage auf den Shetlands gekauft hatte. Für die nächsten anderthalb
Stunden gelang es Poppy und mir nicht, auch nur ein einziges Wort miteinander
zu wechseln. Irgendwann schaute ich auf meine Uhr und stellte fest, dass ich
gehen musste, wenn ich den Zug um 22.34 Uhr nach Watford bekommen wollte. Es
fuhren auch später noch Züge, aber ich wollte nicht mitten in der Nacht fahren,
und ehrlich gesagt hatte ich den Abend längst abgeschrieben.
    »Kommen Sie doch einen
Augenblick mit nach nebenan«, sagte Clive. »Ich möchte Ihnen gerne noch etwas
mitgeben, bevor Sie gehen.«
    Wir gingen ins Nebenzimmer,
eine Art Wohnatelier. Charlotte wohnte im dritten Stock eines Villenblocks mit
Blick auf ein ruhiges, belaubtes Gartenkarree. Vielleicht war dies einmal
eines der Schlafzimmer gewesen, die Wohnung schien mir ziemlich groß für eine
allein lebende Frau.
    »Hier, ich habe Ihnen das Buch
mitgebracht«, sagte Clive voller Stolz. »Und die DVD.«
    Er reichte mir eine alte
Hardcover-Ausgabe von Ron Halls und Nicholas Tomalins Buch Die sonderbare Reise des
Donald Crowhurst und eine DVD von Deep Water, einem abendfüllenden Dokumentarfilm, der erst
kürzlich über diese Reise gedreht worden war.
    »Sie werden Ihre Freude daran
haben«, versprach er frohgemut. »Die Geschichte wird immer faszinierender, je
mehr man darüber erfährt.«
    »Danke«, sagte ich.

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