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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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»Lassen
Sie mich wissen, wie ich ihnen die Sachen zurückgeben kann. Am besten wohl über
Poppy.«
    »Oder persönlich, wenn Sie
mögen«, sagte er und gab mir seine Visitenkarte. Dort stand eine
Geschäftsadresse in Lincoln's Inn Fields. Ich hatte nicht gewusst, dass er
Anwalt war. »Schicken Sie mir eine E-Mail oder rufen Sie an - es interessiert
mich, was Sie zu dem Film sagen.«
    »Ja«, sagte ich der Form
halber, »das mache ich gern.«
    Clive zögerte; zweifellos war
er im Begriff, etwas Persönliches zu sagen.
    »Poppy hat mir erzählt ...«,
begann er und legte eine Pause ein - die mir Gelegenheit ließ, mich zu fragen,
was Poppy ihm wohl über mich erzählt haben mochte. Vielleicht hatte sie ihm
erzählt, dass sie sich unheimlich zu mir hingezogen fühlte, es sich aber wegen
des großen Altersunterschieds nicht zu sagen traute. »Poppy hat mir erzählt,
dass Sie wegen einer Depression beurlaubt waren.«
    »Ach«, sagte ich. »Das.«
Seltsam, wie diese Information mir überallhin folgte. »Ja, aber ich glaube ...
ich glaube, das Schlimmste habe ich hinter mir.«
    »Gut zu wissen«, sagte Clive.
Sein Lächeln war freundlich. »Trotzdem - solche Dinge brauchen Zeit. Ich denke
dabei an Ihren Trip zu den Shetlands.«
    »Wahrscheinlich genau das, was
ich brauche. Mal ein bisschen von mir selber wegkommen.«
    »Wahrscheinlich. Aber da oben
ist es einsam. Und Sie sind weit weg von allen, die Sie kennen.«
    »Nein, das ist okay. Ich freu
mich drauf, wirklich.«
    »Gut, ich bin froh, das zu
hören.« Er klopfte mir sacht auf den Rücken und sagte ziemlich unerwartet:
»Passen Sie auf sich auf, Max.« Aber mich interessierte viel mehr, dass Poppy
gerade neben ihm aufgetaucht war, schon im Mantel.
    »Ich hab mir gedacht, ich
bring Sie zum Bahnhof«, sagte sie. »Wir hatten ja nicht gerade viel Zeit zum
Reden, oder?«
    Ich glühte vor Glück, als wir
Seite an Seite zur U-Bahn-Station South Kensington gingen. Allein die
Tatsache, dass sie keine Mühe scheute, um mir Gesellschaft zu leisten; die Tatsache,
dass unsere Körper sich bei jedem Schritt fast berührten, weil wir so dicht
nebeneinander gingen: Das alles schien einer wunderbaren Logik zu folgen. Es
kam mir vor, als wäre alles, was mir widerfahren war, seit ich Poppy
kennengelernt hatte, auf den einen elektrisierenden, entscheidenden Augenblick
hinausgelaufen, der nun unmittelbar bevorstand. Nur noch ein paar wenige
Schritte, und wir würden die Arkaden vor dem Eingang zur U-Bahn-Station
erreicht haben, und dann war es Zeit; Zeit zu tun, auf was ich den ganzen Abend
gehofft hatte.
    »So«, sagte Poppy forsch, als
wir angekommen waren. »War schön, Sie zu sehen, Max. Ich düse morgen ab nach
Tokio, vorausgesetzt, ich kriege einen Platz, aber ... na ja, alles Gute für
den Shetlandtrip, falls ich Sie vorher nicht mehr sehe. Und vielen Dank für die
Schokolade.«
    Sie ging auf die Zehenspitzen
und bot mir ihre Wange. Ich nahm ihre beiden Wangen zwischen die Hände, bog ihr
Gesicht dezidiert zu mir her und küsste sie auf die Lippen. Der Kuss dauerte
wohl ein paar Sekunden, bis ich spürte, wie ihr Mund sich straffte und löste
und Poppy den Kopf mit einem Ruck zurückzog.
    »Ähm ... Entschuldigung?«,
sagte sie und rieb sich den Mund, »aber was sollte das jetzt werden?«
    In dem Augenblick wurde mir
bewusst, dass Passanten zu uns herschauten, neugierig und amüsiert. Oder
vielmehr mich anschauten. Ich kam mir auf einmal sehr lächerlich vor - und sehr
alt.
    »War das ... hattest du das
nicht erwartet?«, fragte ich.
    Zuerst antwortete sie nicht,
trat nur ein paar Schritte zurück und schaute mich ein wenig ungläubig an. »Ich
glaube, ich geh jetzt besser«, sagte sie.
    »Poppy ...«, begann ich, aber
dann fehlten mir die Worte.
    »Sagen Sie, Max. « Sie kam ein
bisschen näher, immerhin das. »Haben Sie das nicht kapiert?«
    »Kapiert? Was?«
    »Das mit heute Abend. Wozu das
gut war?«
    Ich runzelte die Stirn. Was
redete sie da?
    »Max ...« Ein leicht verzweifelter
Seufzer. »Sie sind zwanzig Jahre älter als ich. Sie und ich, wir könnten
niemals ... ein Paar sein.
Sie sind alt genug, mein ...«
    Sie brach im Satz ab, aber es
war auch nicht nötig, ihn zu vervollständigen, nicht einmal für eine
Dumpfbacke wie mich.
    »Okay, kapiert. Ich verstehe.
Gute Nacht, Poppy. Danke, dass Sie mich zur U-Bahn gebracht haben.«
    »Max, es tut mir leid.«
    »Dazu besteht kein Grund.
Keine Angst. Ich hab's verstanden. Es war eine nette Idee. Und Ihre Mutter ist
eine sehr

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