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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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im
irischen Fernsehen.
    Chris fuhr fort: »Interessiert
Lucy sich eigentlich schon für Geld?«
    »Nicht besonders. Wir geben
ihr ein Pfund die Woche, sie steckt es in die Sparbüchse.«
    »Hat sie nie wissen wollen, wo
das Geld eigentlich herkommt? Wie Banken arbeiten, solche Dinge?«
    »Sie ist erst sieben«,
antwortete Max.
    »Hmm. Na ja, Joe interessiert
sich auf einmal mächtig für solche Dinge. Ich musste ihm heute einen
Schnellkurs in Ökonomie geben.«
    Ist ja klar, dachte Max. Mit
seinen achteinhalb Jahren schickte Joe sich längst an, dieselbe hellhörige,
allesfressende Neugier wie sein Vater zu entwickeln, während die nur ein Jahr
jüngere Lucy zufrieden in ihrer eigenen kleinen, fast ausschließlich von
Fantasiewesen bevölkerten Welt zu leben schien: eine Welt der Puppen und
Kobolde, der Kätzchen und Hamster, derSchmusetierchen und guten Feen. Er war
bemüht, sich deshalb nicht allzu viele Sorgen zu machen oder sich gar zu
ärgern.
    »Also hab ich ihm etwas über
Investmentbanking erzählt. Natürlich nur die Basics. Ich habe ihm erklärt, dass
jemand, den man einen Banker nennt, heutzutage nicht mehr den ganzen Tag
hinterm Schalter sitzt und die Schecks der Kunden zu Bargeld macht. Ich habe
ihm erzählt, dass ein echter Banker gar kein richtiges Geld mehr in die Hand
nimmt. Ich hab ihm erzählt, dass das meiste Geld heutzutage überhaupt nicht
mehr in greifbarer Form existiert, nicht einmal als Papierlappen, auf den ein
Versprechen gedruckt ist. Da hat er mich gefragt: >Was macht denn so ein
Banker den ganzen Tag, Daddy?< Und ich habe ihm erklärt, dass ein großer
Teil des modernen Bankwesens auf Erkenntnissen der Physik basiert. Dass zum
Beispiel Konzepte wie Leverage - Hebelwirkung - und so weiter daher stammen.
Ständig tauchen neue Ausdrücke dieser Art im modernen Banking auf. Aber das
weißt du ja alles selber.«
    Max nickte, obwohl er keine
Ahnung von solchen Dingen hatte. Caroline, die ihren Mann nach all den Jahren
gut (zu gut) kannte, sah sein Kopfnicken und durchschaute den Bluff. Ihr leises
Lächeln zum Küchenfußboden hatte etwas Wehmütiges.
    »Ich habe ihm erzählt, dass
ein Großteil des modernen Bankings daraus besteht, sich Geld zu leihen - Geld,
das einem nicht gehört - und Gelegenheiten zu suchen, es wieder anzulegen, zu
einer Rendite, die höher ist als die Zinsen, die man dem zahlt, von dem man es
sich geliehen hat. Joe hat eine Weile darüber nachgedacht, und dann hat er
einen sehr interessanten Satz gesagt: >Dann sind Banker also Menschen, die viel
Geld damit verdienen, dass sie andere beschummeln.<«
    Max lächelte anerkennend.
»Keine schlechte Definition.«
    »Ja, nicht? Weil darin ein
anderer moralischer Blick auf die Dinge zum Ausdruck kommt. Der Blick eines
Kindes. Es ist nicht ungesetzlich, was die Banken machen - jedenfalls in den
meisten Fällen. Aber die Leute akzeptieren es nicht mehr, das ist es. Im Hinterkopf
haben wir noch unsere unausgesprochenen Regeln darüber, was fair ist und was
nicht. Und was die machen, ist nicht fair. Und Kinder nennen das schummeln.«
    Spätnachts, als er und
Caroline oben in dem Mansardenzimmer nebeneinander im Bett lagen und auf
Schlaf warteten, ging Max immer noch das Gespräch mit Chris durch den Kopf.
    »Es wundert mich ein bisschen,
dass Chris auf dieses Kindermund-Zeugs so abfährt«, sagte er. »Ein bisschen zu
putzig für ihn, hätte ich gedacht.«
    »Vielleicht«, sagte Caroline
uninteressiert.
    Max wartete darauf, dass sie
noch etwas sagte, aber es war nur Stille zwischen ihnen, Teil einer größeren,
magischen Beinahe-Stille, die über dem Küstenstreifen im Ganzen lag. Wenn er
aufmerksam lauschte, konnte er das leise Geräusch der Wellen hören, die wenige
Hundert Meter entfernt sachte auf den Strand schwappten.
    »Ein Herz und eine Seele,
findest du nicht?« Er ließ noch nicht locker.
    »Wer?«, murmelte Caroline aus
der dichter werdenden Wolke des Schlafs.
    »Chris und Joe. Sie verbringen
viel Zeit miteinander.«
    »Hmm. Ist das nicht meist so
bei Vater und Sohn?«
    Sie drehte sich langsam um,
bis sie flach auf dem Rücken lag. Jetzt wusste Max, dass sie so gut wie
eingeschlafen und kein Gespräch mehr möglich war. Er langte hinüber und nahm
ihre Hand. Er hielt die Hand fest, während er durch das schräge Dachfenster
den rastlosen Wolken nachschaute, bis ihr Atem langsamer und regelmäßiger wurde.
Als sie schlief, ließ er sie vorsichtig los und wandte sich von ihr ab. Seit
sie Lucy gezeugt hatten, vor fast acht

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