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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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Poppy eine Tafel Milchschokolade, raffiniert mit helleren und
dunkleren Mischungen marmoriert, und beschloss, auch ihrer Mutter so etwas
mitzubringen. Sehr zufrieden mit meinen Einkäufen verließ ich den Laden. Erst
etwas später, als ich mich wieder SW7 näherte, kam ich mir auf einmal albern
vor. Ich hatte gerade fünfundzwanzig Pfund gegen zwei Riegel Schokolade eingetauscht.
Hatte ich - wie alle anderen auch - total den Blick für den Wert der Dinge
verloren?
     
    »Eins wird jetzt so langsam
wohl jedem klar«, sagte Clive. »Der Wert eines Objekts, ob das nun ein Haus ist
oder« - mit Blick in meine Richtung - »eine Zahnbürste, hat im Grunde genommen
... keinerlei Bedeutung! Er ist nichts weiter als ein Amalgam unterschiedlicher
Bewertungen, die verschiedene Mitglieder der Gesellschaft ihm zu irgendeinem
Zeitpunkt gerade beimessen. Er ist vollkommen abstrakt, vollkommen immateriell.
Und trotzdem sind diese nicht existierenden Einheiten - wir nennen sie Preise - das Fundament, auf dem wir
unsere Gesellschaft errichtet haben. Eine komplette Zivilisation  ... auf Luft
gebaut. Mehr ist es nämlich nicht. Luft.« Es entstand ein kurzes Schweigen.
    »Keine übermäßig originelle
Beobachtung«, sagte Richard und nahm sich noch eine Olive.
    »Natürlich nicht«, sagte
Clive. »Das behaupte ich auch nicht. Aber die meisten Menschen haben es bis
heute nicht zur Kenntnis genommen. Die meisten Menschen gehen ihrer
alltäglichen Arbeit in der bequemen Annahme nach, dass all unser Streben von
etwas Realem und wirklich Solidem untermauert ist, eine Annahme, die wir jetzt
getrost über Bord werfen können. Und je tiefer diese Erkenntnis einsickert,
desto deutlicher wird, dass wir unser gesamtes Denken einer gründlichen
Revision unterziehen müssen.« Er lächelte Richard kampfeslustig zu. »Ich weiß
ja, dass so etwas in Ihrer Branche kalter Kaffee ist. Sie wissen seit Jahren,
was wir Normalsterblichen gerade erst zu begreifen beginnen. Und haben sich
dieses Wissen ganz gut zunutze machen können, würde ich mal sagen.«
    Richard hatte in irgendeiner
Form mit Investmentbanking zu tun. Ich hatte nicht so genau zugehört, als er es
mir erklärte. Ich mochte ihn instinktiv nicht. Offenbar saß er mit am Tisch,
weil seine Freundin Jocosta Poppys älteste Freundin von der Universität war.
Jocosta machte einen sehr sympathischen Eindruck, aber es war klar, dass sie
Poppy für den größten Teil des Abends mit Beschlag belegen würde. Auf dem
Esstisch standen Namenskärtchen, und ich musste feststellen, dass man uns nach
Generationen aufgeteilt hatte. Mich hatten sie ans eine Ende des Tischs zu den
Oldies gesteckt - Poppys Mutter Charlotte und ihren Onkel Clive -, neben mir
saß der unverdauliche Knochen Richard, ihm gegenüber Jocasta, und Poppy am
anderen Ende der Tafel war ungefähr so weit von mir entfernt, wie überhaupt
möglich. Ich saß Clive gegenüber, von dem ich sagen kann, dass er genauso
freundlich und verbindlich zu sein schien, wie Poppy ihn geschildert hatte.
Ihre Mutter erschien mir irgendwie rätselhaft. Sie war eine Frau, die ein
ordentlicher Schriftsteller wohl als »attraktiv« beschrieben hätte, womit
gesagt wäre, dass sie vor zehn, fünfzehn Jahren durchaus eine Schönheit gewesen
sein könnte. Es klang nicht so, als ginge sie einer Tätigkeit nach, aber sie
konnte zweifellos auf finanzielle Mittel irgendwelcher Art zurückgreifen. Es
war schwierig, mehr über sie zu erfahren, weil sie nicht viel über sich sagte.
Dafür wollte sie umso genauer wissen, wie ich ihre Tochter kennengelernt hatte,
und (ohne es mich direkt zu fragen) welche Absichten ich in Bezug auf sie
hegte. Es war anstrengend, neben Charlotte zu sitzen. Mir fiel auf, dass sie
dem Rotwein ziemlich heftig zusprach, noch bevor der erste Gang serviert war,
und ich hatte nicht übel Lust, es ihr nachzutun. Der Abend versprach nicht
annähernd so amüsant zu werden, wie ich gehofft hatte.
    »Jetzt kommen Sie, Clive«,
sagte Jocasta, aufgebracht durch seine letzte Bemerkung. »Das ist unter der
Gürtellinie. Man tritt nicht auf jemanden ein, der am Boden liegt.«
    »Am Boden?«
    »Richard hat vor ein paar
Wochen seinen Job verloren. Haben Sie das nicht gewusst?«
    »Oh«, sagte Clive. »Nein, das
hab ich nicht gewusst. Tut mir leid.«
    »Knall auf Fall aus dem Büro
gejagt«, sagte Richard. »Mit Pappkarton für die persönlichen Dinge und so.
Eigentlich keine Überraschung. War seit Wochen abzusehen. Ich war noch einer
der Letzten von meiner

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