Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
Vom Netzwerk:
diesmal tat ich das nicht, weil mir
das Haus ziemlich leer und still erschien, abgesehen von dem regelmäßigen
Schnarchen, das aus einem der Schlafzimmer im ersten Stock kam. Um den
Schlafenden nicht zu wecken, schlich ich auf Zehenspitzen die Treppe hinauf und
stellte fest, dass das Geräusch aus dem Gästezimmer kam, von dem ich wusste,
dass es bis auf ein Einzelbett und einen Kleiderschrank unmöbliert war. Wer
mochte dort liegen, und warum schlief er?
    Die Tür war angelehnt.
Vorsichtig stieß ich sie auf und schaute hinein.
    Es war Mr Sim, und ich kann
nur vermuten, dass er ein schweres Sonntagsessen hinter sich hatte -
vielleicht mit etwas zu viel Rotwein heruntergespült -, denn es war kaum
vorstellbar, dass er mit Absicht in der Stellung eingeschlafen war, in der ich
ihn fand. Er lag auf der Seite, mit dem Gesicht zur Tür. Hose und Unterhose
waren bis zu den Knien heruntergezogen. In der linken Hand hielt er ein
verknautschtes Papiertaschentuch. Sein Penis lag schlaff und schrumpelig zwischen
seinen Beinen, und aus der weinroten Spitze zog sich ein schmaler Samenfaden
auf ein himmelblaues Bettlaken. Weinrot und Himmelblau, die Trikotfarben von
Aston Villa, war der erste, absurde Gedanke, der mir in den Kopf schoss.
Seltsam, wie so ein Gehirn funktioniert. Und noch etwas sah ich auf dem
Bettlaken liegen: ein Foto, einen Hochglanz-Farbabzug der Aufnahme, die er auf
dem kleinen Kiesstrand am Coniston Water von uns gemacht hatte. Mir fiel auf,
dass es in der Mitte gefaltet war, Chris war verdeckt, nur ich war zu sehen,
nass und frierend in dem knappen orangeroten Bikini. Es sah aus, als wäre das
Foto absichtlich so komponiert - die exakte Symmetrie unserer beiden
Gestalten, eine auf jeder Hälfte des Bildes -, dass man es in zwei Hälften
teilen konnte.
    Ich konnte nur Sekunden auf
den in dieser Haltung daliegenden Mr Sim geschaut haben, als ich von unten das
Klappen der Haustür und Stimmen hörte. Blitzschnell zog ich meinen Kopf zurück
- gerade rechtzeitig, denn ich hörte ihn aus dem Schlaf aufschrecken und sich
hastig in ein halbwegs anständiges Erscheinungsbild bringen.
    Max und seine Mutter gingen
nach hinten in die Küche. Sie hatten die Haustür offen stehen lassen, also
konnte ich mich nach unten schleichen und zur Tür hinausschlüpfen. Ich wollte
mit niemandem reden und von niemandem gesehen werden. Und schon gar nicht
wollte ich Mr Sim unter die Augen treten.
    Nach diesem Ereignis ging ich
Max und seiner Familie für lange Zeit aus dem Weg. Ich glaube, irgendwie war es
mir sogar gelungen, sie an Weihnachten nicht zu sehen, obwohl das eigentlich
unmöglich war, weil unsere Familien den zweiten Weihnachtstag normalerweise
miteinander verbrachten. Niemand schien zu merken, dass ich sie mied, deshalb
bat mich auch niemand um eine Erklärung. Für Max war es natürlich schwer, aber
ich sagte mir, dass er sich früher oder später in ein anderes Mädchen verlieben
würde. Es hätte ganz anders zwischen uns laufen können, wenn er nicht so
versessen darauf gewesen wäre, an diesem letzten Abend auf dem Campingplatz
ein Feuer für mich zu machen. Es war unsere große Gelegenheit, und als wir sie
verstreichen ließen, war es wahrscheinlich schon zu spät. Was hätte ich zu ihm
sagen sollen, wenn wir an diesem Sonntagnachmittag zusammen über den Golfplatz
spaziert wären? Ich weiß es wirklich nicht. Ich wusste nur, nachdem ich seinen
Vater so gesehen hatte, nachdem mir klargeworden war, dass er mich die ganze
Woche über beobachtet, mir lüstern nachgestellt hatte, nachdem ich verstanden
hatte, warum er dieses Foto gemacht hatte, wäre mit Max gar nichts mehr
gegangen, so gerne ich ihn mochte.
    Und was sind die Schlüsse, die
ich aus diesem Aufsatz ziehen kann? Ich glaube, er hat mich in meiner
Überzeugung bestärkt, dass die Folgen einer Verletzung der Intimsphäre sehr
gravierend und schmerzhaft sein können. In diesem Fall wurde dadurch die
Möglichkeit zerstört, dass Max und ich eine Beziehung anfingen, trotz
derTatsache, dass ich ihn vor diesem Zwischenfall sehr gern hatte, mich sogar
zu ihm hingezogen fühlte.
     
    Alison Byrne Februar 1980
     
    14
     
    Fahren Sie nach dem
Kreisverkehr geradeaus weiter. Nehmen Sie die zweite Ausfahrt.
    »Na, Emma, das ist mal ein
Hammer, oder?«
    Nehmen Sie die Ausfahrt.
    »Jetzt habe ich ein Bild von
meinem Vater im Kopf, das ich wohl nie wieder loswerde.«
    Biegen Sie nach zweihundert Metern rechts ab.
    »Und um dem Ganzen die Krone
aufzusetzen, muss ich

Weitere Kostenlose Bücher