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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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eines gemeinsamen Urlaubs
ein Foto von mir und meinem Bruder schoss - was hätte harmloser sein können?
Aber da war etwas an der Bedächtigkeit, mit der er das Foto machte - wie er uns
Ewigkeiten bibbernd dort stehen ließ, bis die Komposition ihm zusagte, und auch
an dem herrischen (beinahe schikanösen) Ton, in dem er »Halt! Stehenbleiben!«
gerufen hatte, das bei mir ein unbehagliches Gefühl hinterließ. Zum einen
machte er normalerweise keine solchen Fotos: künstlerische Aufnahmen von
Löwenzahn und Baumstämmen, ja, aber keine Menschen - warum also mich und
Chris? Und warum gerade jetzt? Und zum anderen wünschte ich mir plötzlich, ich
hätte diesen Bikini nicht angezogen. Er war ja so schon knapp genug, aber nass
und in der Kälte war er beinahe durchsichtig, und meine Brustwarzen dürften
herausgestanden haben wie Kirschkerne. Es war völlig in Ordnung, wenn Max mich
so sah, aber sein Vater ... Na ja, das war schon ganz schön gruselig, ehrlich
gesagt. Und gleich nachdem er das Foto gemacht hatte, spurtete ich zurück ans
Ufer, ohne ihn anzuschauen, riss Max das Handtuch aus der Hand und wickelte
mich darin ein. Ich zitterte wie Espenlaub, und meine Zähne klapperten so
heftig, dass ich kaum sprechen konnte. Inzwischen verstaute Mr Sim seine Kamera
fast eine Spur zu beiläufig und sagte in gespielt jovialem Ton: »Ich glaube,
das ist richtig gut geworden. Und - wer kommt heute Abend mit ins Pub?«
    Es stellte sich heraus, dass
wir an dem Abend nicht am Feuer essen würden - die Erwachsenen hatten einen
Tisch in der Dorfwirtschaft bestellt. Aber es stellte sich auch heraus, dass
die Kälte meinen Körper nicht so schnell wieder verlassen wollte. Ich hatte
mich tatsächlich viel zu sehr auskühlen lassen, und nichts schien mich
aufwärmen zu können - nicht einmal die zwei, drei Tassen kochendheißen Tees,
die meine Mutter mir aufgoss. Nachdem ich den Tee getrunken hatte, ging ich in
unserZelt, wickelte mich in meinen Schlafsack und lag einfach nur da und
zitterte. Nachdem meine Mum den anderen mitgeteilt hatte, dass ich nicht mit
ins Pub gehen würde, wurde auf einer kurzen Konferenz beratschlagt, was zu tun
war. Ich hörte Max sagen, dass er mich nicht allein lassen wollte und bleiben
würde, um mir Gesellschaft zu leisten, worüber ich natürlich sehr glücklich
war. Man konnte über Max sagen, was man wollte, aber so ist er immer gewesen -
aufmerksam, meine ich, und fürsorglich. Ein geborener Gentleman. Auf einmal
wollte Chris auch bleiben, und ich dachte, oh nein, wie ärgerlich. Aber
irgendwie konnte Mr Sim es ihm ausreden. Ich weiß noch, wie traurig ich es
fand, dass Mr Sim sich solche Mühe gab, Chris zum Mitkommen zu bewegen, während
es ihm völlig egal war, dass sein Sohn zu Hause bleiben wollte. Aber das war
wohl ein Symptom der Beziehung zwischen den beiden. Immerhin war ich, wie man
sich vorstellen kann, sehr froh über diesen Ausgang.
    Nachdem die anderen ins Pub
aufgebrochen waren, steckte Max den Kopf durch die Zeltklappen und wollte
wissen, ob alles in Ordnung war. Es gehe mir gut, sagte ich, aber er sah, dass
ich immer noch fror, und fragte, ob ich noch etwas Tee oder vielleicht eine
heiße Schokolade oder so etwas wollte. Ich fand die Idee gar nicht schlecht und
bot ihm an, den Kessel auf den Primus-Herd zu stellen und uns zum Essen ein
paar Brote zu schmieren. »Okay«, sagte Max und stand auf, »dann mach ich
solange Feuer.«
    Ein großes Wort, gelassen
ausgesprochen ...
    Um es klar zu sagen, Max'
Versuche, an diesem Abend ein Feuer in Gang zu bringen, gerieten zur mittleren
Katastrophe. Es ging schief, was auch nur schiefgehen konnte. Das Reisig war zu
feucht (weil es am Nachmittag geregnet hatte), und er hatte viel zu wenig
gesammelt. Die Äste, die er als Brennmaterial gesammelt hatte, waren viel zu
groß, und er hatte kein Werkzeug, um sie zu verkleinern. Ein ums andere Mal
setzte er den Fuß drauf und versuchte, sie mit den Händen zu zerbrechen, aber
dabei verletzte er sich: Irgendwie gelang es ihm, sich die halbe Haut von der
linken Hand zu reißen, man glaubt kaum, wie er geflucht hat! Das Taschentuch,
das er sich als Notverband um die Hand wickelte, machte es natürlich nicht
leichter. Immer wieder sagte ich zu ihm, Max, es ist nicht so schlimm, setz
dich hin, trink deinen Kakao, iss dein Sandwich, machen wir uns einen schönen
Abend, solange die anderen weg sind - aber es half nichts. Er konnte nicht
stillsitzen. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, ein Feuer zu machen, so

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