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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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morgen auch noch mit der Frau zu Abend essen, die es dort
eingepflanzt hat.«
    Biegen Sie rechts ab.
    »Ich hätte nicht für möglich
gehalten, dass ich noch wütender auf meinen Vater werden könnte. Ich konnte
mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie er noch tiefer in meiner Achtung
sinken sollte. Aber - Hut ab, Dad. Es ist dir gelungen! Du hast dir nicht nur
über dem Bild einer meiner Freundinnen einen runtergeholt, nein, du musstest
dich auch noch dabei erwischen lassen! Super, Dad. Gut gemacht. Fallen dir
vielleicht noch ein paar Methoden ein, mir mein Leben zu versauen? Dann
könntest du den Job doch gleich zu Ende bringen, wo du schon mal dabei bist.«
    Ich riss beim Abbiegen nach
rechts wütend das Lenkrad herum und nahm die Kurve viel zu schnell. Um ein Haar
hätte ich die Stoßstange eines Geländewagens mitgenommen, der gerade aus der
Straße fahren wollte, in die ich einbog. Der Fahrer hupte mich an. Ich antwortete
mit der Lichthupe.
    Folgen Sie dem Straßenverlauf für circa sechs
Kilometer.
     
    Ich hatte Walsall hinter mir
gelassen und war auf der A461 in nordöstlicher Richtung unterwegs. Laut Emma
waren es noch zwölf Kilometer bis Lichfield: neunzehn Minuten Fahrzeit bei
meiner augenblicklichen Geschwindigkeit. Es war wieder so ein grauer, ein
bisschen windiger, ein bisschen nasser Vormittag. Der Monitor zeigte eine
Außentemperatur von fünf Grad an. Es war wenig Verkehr. Bis dahin hatte ich die
Autobahnen vermieden. Autobahnen koppelten einen vom Land ab. Heute Morgen
wollte ich durch richtige Ortschaften fahren: Ich wollte Läden und Wohnhäuser
und Büroblocks sehen, alte Damen, die ihre Einkaufswagen hinter sich herzogen,
und Gruppen übellauniger Teenager, die zusammengedrängt in Bushäuschen
herumstanden. Ich wollte nicht mehr wie mein Vater sein, mich versteckt vor dem
Leben in schamvoller Heimlichkeit verlustieren, während Frau und Sohn einen
Sonntagsspaziergang machen. Ich war noch nicht so weit, mich als Loser zu akzeptieren.
Noch nicht.
    Ich fuhr zu schnell. Ich
konnte meinen Fuß nicht daran hindern, auf das Gaspedal zu drücken. Bislang
hatte ich nur einen Schnitt von 5,3 Litern auf hundert Kilometern zustande
gebracht.
    Folgen Sie dem Straßenverlauffür circa fünf Kilometer.
    Was mich wohl erwartete,
nachdem ich die Tür zu dieser Wohnung aufgeschlossen hatte? Mein Vater war seit
über zwanzig Jahren nicht mehr dort gewesen. Ob außer Mr und Mrs Byrne sonst
noch jemand in der Wohnung gewesen war? Ich wusste nur, dass ich dort einen
blauen Ordner mit der Aufschrift Zwei Duette auf dem Rücken finden würde, der ein paar kryptische
Gedichte und eine Erzählung enthielt, der ich entnehmen konnte, warum ich
nicht auf der Welt wäre, wenn es in London nicht zwei nahe beieinander liegende
Pubs gegeben hätte, die beide den Namen The Rising Sun trugen. Wollte ich in
meinem gegenwärtigen Gemütszustand überhaupt irgendwelche Neuigkeiten über die
Umstände meiner Geburt oder noch schlimmer - meiner Zeugung erfahren? Eher
nicht. Über meinen Vater und das, was er mit seinen Körpersäften anstellte,
hatte ich bereits genug erfahren. Auf eine Fortsetzung konnte ich gut
verzichten.
    Folgen Sie dem Straßenverlauf für circa drei
Kilometer.
    Ich warf einen Blick auf den
Monitor. Ich war noch da, ein kleiner roter Pfeil, der sich tapfer auf der A461
voranarbeitete. Sich Zentimeter für Zentimeter seinem Ziel näherte. Wie unbedeutend
er mich aussehen - und mich fühlen - ließ. Ich dachte an die Satelliten,
Tausende von Kilometern weit weg am Himmel, die auf mich und Millionen andere
herunterschauten, all die Menschen, die bei ihren individuellen, alltäglichen
und letztlich sinnlosen Besorgungen hin und her wuselten. Die
Unbegreiflichkeit, das Entsetzen darüber kam plötzlich über mich und ließ mich
erschauern: Ich fühlte eine jähe Leere im Bauch, wie in einem Fahrstuhl, der
sich in die Tiefe stürzte.
    »Halt!«, sagte ich - halb zu
Emma, halb zu mir selbst. »Keinen Schritt weiter in der Richtung. Solche
Gedanken können einen verrückt machen.«
    Ich versuchte, mich auf
Näherliegendes zu konzentrieren. Emma und ich fuhren gerade nach Staffordshire
hinein. Wir hatten die städtische Trübseligkeit Walsalls hinter uns gelassen
und rollten jetzt durch eine ruhigere, grünere Welt. Die vereinzelt
hingetupften Häuser zu beiden Seiten der Straße waren aus den typischen roten
Backsteinen Staffordshires gebaut, und immer wieder stieg die Straße leicht an,
um einen der vielen

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