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Coetzee, J. M.

Coetzee, J. M.

Titel: Coetzee, J. M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eiserne Zeit
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Und
er, nachdem er auf Fischerbooten auf den Meeren sich herumtrieb, geht hier an
Land.
    »Wie Sie
wollen«, sagte ich und brachte ihn hinaus, so tuend, als bemerkte ich nicht,
daß er die Sherryflasche noch hatte.
    Schade,
dachte ich (mein letzter Gedanke, bevor die Pillen mich hinübernahmen), wir
hätten eine Art Hausgemeinschaft gründen können, ich oben, er unten, für diese
letzte kleine Weile. Damit nachts jemand in der Nähe ist. Denn das ist es
schließlich, was man am Ende haben möchte: daß jemand da ist, den man rufen
kann in der Dunkelheit. Mutter, oder wer immer bereit ist, die Mutter zu
vertreten.
     
     
    Da ich
Florence erklärt hatte, ich würde es tun, fuhr ich zum Caledon Square und
versuchte, Anzeige gegen zwei Polizisten zu erstatten. Aber Anzeige erstatten,
scheint es, dürfen nur »direkt betroffene Parteien«.
    »Geben Sie
uns die Einzelheiten, und wir gehn der Sache nach«, sagte der Diensthabende.
»Wie sind die Namen der zwei Jungen?«
    »Ohne deren
Erlaubnis kann ich Ihnen die Namen nicht geben.«
    Er legte
seinen Schreibstift hin. Ein junger Mann, sehr ordentlich und korrekt, einer
von der neuen Sorte. Deren Ausbildung mit einer Schicht in Kapstadt abgerundet
wird, um ihre Selbstbeherrschung angesichts liberal-humanistischer Haltung zu
stärken.
    »Ich weiß
nicht, ob Sie stolz sind auf die Uniform da«, sagte ich, »aber Ihre Kollegen
auf der Straße bringen ihr Schande. Und auch mir bringen sie Schande. Ich
schäme mich. Nicht für sie: für mich. Sie wollen mich nicht Anzeige erstatten
lassen, weil Sie sagen, ich sei nicht betroffen. Ich bin betroffen, sehr direkt
betroffen. Verstehn Sie, was ich sage?«
    Er
antwortete nicht, stand aber stramm da, achtsam, bereit für alles, was als
nächstes kommen könnte. Der Mann hinter ihm beugte sich über seine Papiere und
tat so, als hörte er nicht zu. Es war aber nichts zu fürchten. Ich hatte nichts
weiter zu sagen, wenigstens fiel mir nichts mehr ein.
    Vercueil saß im Wagen in
der Buitenkant Street. »Ich hab mich ja zum Narren gemacht«, sagte ich,
plötzlich wieder den Tränen nahe. »›Ich muß mich schämen Ihretwegen‹, hab ich
zu ihnen gesagt. Wahrscheinlich lachen sie jetzt noch über mich. Die ou
kruppel dame met die kaffertjies. Doch was sonst kann man empfinden?
Vielleicht sollt ich einfach akzeptieren, daß man fortan so leben muß: in einem
Zustand der Scham. Vielleicht bezeichnet Scham nichts weiter als das, was ich
fortwährend empfinde. Die Bezeichnung für die Art, wie Menschen leben, die
lieber tot wären.«
    Scham.
Schande. Modifikation. Tod im Leben.
    Ein
langes Schweigen.
    »Kann ich zehn Rand borgen?« sagte Vercueil. »Mein
Invalidengeld krieg ich Donnerstag. Ich zahPs dann zurück.«

 
III
     
     
     
    Letzte
Nacht, in den frühen Morgenstunden, kam ein Telefonanruf. Eine Frau, atemlos,
mit der Atemlosigkeit dicker Menschen. »Ich möchte mit Florence sprechen.«
    »Sie schläft. Alle
schlafen.«
    »Ja, Sie können sie holen.«
    Es regnete,
wenn auch nicht stark. Ich klopfte an Florences Tür. Sofort ging sie auf, so
als hätte sie dort gestanden und auf die Aufforderung gewartet. Hinter ihr
seufzte ein Kind im Schlaf. »Telefon«, sagte ich.
    Fünf Minuten später kam sie
zu mir nach oben. Ohne ihre Brille, barhäuptig, in einem langen weißen
Nachthemd wirkte sie viel jünger.
    »Es gibt
Schwierigkeiten«, sagte sie.
    »Wegen
Bheki?«
    »Ja, ich muß hin.«
    »Wo ist er?«
    »Zuerst muß
ich nach Guguletu, danach dann, glaub ich, zum Gelände C.«
    »Ich hab
keine Ahnung, wo das Gelände C ist.«
    Verdutzt sah sie mich an.
    »Ich meine,
wenn du mir den Weg zeigen kannst, fahr ich dich hin«, sagte ich.
    »Ja«, sagte
sie, zögerte aber noch. »Aber ich kann die Kinder nicht allein lassen.«
    »Dann
müssen sie mitkommen.«
    »Ja«, sagte sie. Ich konnte
mich nicht erinnern, sie je so unentschlossen gesehen zu haben.
    »Und Mr. Vercueil«, sagte
ich, »er muß mit, um uns zu helfen, wenn mit dem Wagen was ist.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Doch«, beharrte ich, »er
muß mit.«
    Der Hund lag an Vercueils
Seite. Sein Schwanz klopfte auf den Boden, als ich hineinkam, aber er stand
nicht auf.
    »Mr. Vercueil«, sagte ich
laut. Er öffnete die Augen; ich schwenkte den Lichtstrahl weg. Er ließ einen
Wind abgehen. »Ich muß Florence nach Guguletu bringen. Es ist dringend, wir
müssen sofort los. Kommen Sie mit?«
    Er gab keine Antwort,
sondern rollte sich auf der Seite zusammen. Der Hund schmiegte sich wieder

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