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Coetzee, J. M.

Coetzee, J. M.

Titel: Coetzee, J. M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eiserne Zeit
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kann. Deren Hände sauber, deren Fingernägel sauber. Die neuen
Puritaner, an die Regel sich haltend, die Regel aufrechterhaltend. Alkohol
verabscheuend, der die Regel aufweicht, Eisen auflöst. Alles verdächtigend, was
müßig ist, nachgiebig, ungefähr. Argwöhnisch gewundenen Diskurs betrachtend,
wie diesen.
    »Und krank bin ich auch«,
sagte ich. »Krank und müde, müde und krank. Ich habe ein Kind in mir, das ich
nicht gebären kann. Nicht kann, weil es nicht geboren werden will. Weil es
außerhalb von mir nicht leben kann. Also ist es mein Gefangener, oder ich bin
sein Gefangener. Es schlägt ans Tor, aber es kann nicht raus. Das ist es, was
die ganze Zeit vorgeht. Das Kind drinnen schlägt ans Tor. Meine Tochter ist
mein erstes Kind. Sie ist mein Leben. Dies jetzt ist das zweite, die
Nachgeburt, das Ungewollte. Wollen Sie fernsehen?«
    »Ich dachte, Sie wollten
schlafen.«
    »Nein, ich
möchte jetzt lieber nicht allein sein. Derjenige da drin schlägt auch gerade
nicht so fest. Er hat seine Pille gekriegt, er wird schläfrig. Die Dosis ist
jeweils zwei Pillen, wohlgemerkt, eine für mich, eine für ihn.«
    Wir setzten
uns nebeneinander auf das Sofa. Ein rotgesichtiger Mann wurde gerade
interviewt. Er besaß, schien es, eine Wildtierfarm und vermietete Löwen und
Elefanten an Filmgesellschaften.
    »Erzählen Sie uns etwas
über ein paar Persönlichkeiten, die Sie in Übersee kennengelernt haben«, sagte
der Interviewer.
    »Ich geh
Tee machen«, sagte ich und stand auf.
    »Ist noch was anderes im
Haus?« sagte Vercueil.
    »Sherry.«
    Als ich mit der
Sherryflasche zurückkam, stand er am Bücherregal. Ich machte den Fernseher aus.
»Was schaun Sie sich da an?« fragte ich.
    Er hielt einen der schweren
Quartbände hoch.
    »Sie werden
das Buch interessant finden«, sagte ich. »Die Frau, die es schrieb, ist als
Mann verkleidet durch Palästina und Syrien gereist. Im vorigen Jahrhundert.
Eine von diesen unerschrockenen Engländerinnen. Aber die Bilder sind nicht von
ihr. Die hat ein professioneller Illustrator gemacht.«
    Zusammen
blätterten wir das Buch durch. Durch irgendeinen perspektivischen Kunstgriff
hatte der Illustrator mondbeschienenen Zeltlagern, wüsten Felsenspitzen,
Tempelruinen einen Hauch hohen Mysteriums verliehen. Niemand hat das für
Südafrika getan. Es zu einem Land des Mysteriums gemacht. Zu spät jetzt.
Fixiert im Geist als Ort flachen, harten Lichts, ohne Schatten, ohne Tiefe.
    »Lesen Sie, was immer Sie
möchten«, sagte ich. »Oben sind noch viel mehr Bücher. Lesen Sie gern?«
    Vercueil
legte das Buch nieder. »Ich geh jetzt schlafen«, sagte er.
    Wieder erfaßte mich eine
kurze Verlegenheit. Warum? Weil ich, offen gesagt, nicht mag, wie er riecht.
Weil ich an Vercueil in Unterwäsche lieber nicht denke. Am allerschlimmsten die
Füße: die hornigen, schmutzstarrenden Zehennägel.
    »Kann ich
Sie etwas fragen?« sagte ich. »Wo haben Sie vorher gelebt? Warum sind Sie auf
Wanderschaft gegangen?«
    »Ich war auf See«, sagte
Vercueil. »Das hab ich Ihnen gesagt.«
    »Aber auf
See lebt man nicht. Man wird nicht auf See geboren. Sie sind nicht Ihr ganzes
Leben auf See gewesen.«
    »Ich war
auf Schleppnetzbooten.«
    »Und?«
    Er
schüttelte den Kopf.
    »Ich frag
ja nur«, sagte ich. »Wir möchten gern ein bißchen was über die Menschen in
unserer Nähe wissen. Das ist ganz natürlich.«
    Er lächelte sein schiefes
Lächeln, bei dem plötzlich ein Eckzahn sich zeigt, lang und gelb. Du verbirgst
mir etwas, dachte ich, aber was? Eine tragische Liebe? Eine Gefängnisstrafe?
Und ich mußte selber lächeln.
    Da standen
wir also und lächelten, wir zwei, jeder mit seinem privaten Grund zu lächeln.
    »Wenn Ihnen
das lieber ist«, sagte ich, »können Sie wieder auf dem Sofa schlafen.«
    Er schien
zu überlegen. »Der Hund ist es gewöhnt, bei mir zu schlafen.«
    »Gestern nacht hatten Sie
den Hund nicht bei sich.«
    »Der spielt
verrückt, wenn ich nicht komme.«
    Von einem
Verrücktspielen des Hundes habe ich gestern nacht nichts gehört. Kümmert es den
Hund wirklich, wo sein Herr schläft, solange er ihn füttert? Ich habe ihn in
Verdacht, er benutzt die Fiktion des besorgten Hundes, wie andere Männer die
Fiktion der besorgten Ehefrau benutzen. Andererseits ist es vielleicht der
Hund, weswegen ich ihm vertraue. Hunde, die herausschnüffeln, was gut ist, was
böse: Streifengänger der Grenzen: Wachtposten.
    Der Hund
hat sich nicht für mich erwärmt. Zuviel Katzengeruch. Katzenfrau: Circe.

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