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Coetzee, J. M.

Coetzee, J. M.

Titel: Coetzee, J. M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eiserne Zeit
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picken.
    Ich
schüttelte das rote Tischtuch aus und begann es zu zerschneiden. »Ich habe kein
Verbandszeug im Haus«, sagte ich, »aber das hier ist ziemlich sauber, falls das
Rot dich nicht stört.« Zweimal wand ich einen Streifen um seinen Kopf und
verknotete ihn hinten. »Du mußt bald zu einem Arzt oder in eine Klinik und dir
die Fäden ziehen lassen. Du kannst sie nicht drin lassen.«
    Sein Hals steif wie ein
Stochereisen. Ein Geruch ging von ihm aus, der Geruch, der den Hund gereizt haben
mußte: Nervosität, Angst.
    »Der Kopf
tut nicht weh«, sagte er, sich räuspernd, »aber der Arm« – behutsam bewegte er
die Schulter – »ich muß ihn ruhighalten.«
    »Sag mal,
läufst du vor jemandem davon?«
    Er schwieg.
    »Ich möchte ernsthaft zu
dir sprechen«, sagte ich. »Du bist zu jung für sowas. Das hab ich Bheki gesagt,
und dir sag ich’s jetzt wieder. Ich bin ein alter Mensch, ich weiß, wovon ich
rede. Ihr seid noch Kinder. Ihr werft euer Leben fort, bevor ihr wißt, was das
Leben sein kann. Wie alt bist du – fünfzehn Jahre? Fünfzehn ist zu jung zum
Sterben. Achtzehn ist zu jung. Einundzwanzig ist zu jung.«
    Er stand auf, mit den
Fingerspitzen über das rote Band streichend. Meine Gunstbezeigung. Zur Zeit des
Rittertums hackten Männer andere Männer zu Tode, und an ihren Helmen flatterten
die Gunstbezeigungen der Damen. Atem Verschwendung, diesem Jungen Klugheit zu
predigen. Der Kampfinstinkt, zu stark in ihm, treibt ihn dauernd weiter. Kampf:
so beseitigt die Natur die Schwachen und liefert die Weibchen den Starken.
Kehre ruhmbedeckt zurück, und du wirst bekommen, was du begehrst. Blut und
Ruhm, Tod und Sex. Und ich, eine alte Frau, Busenfreundin des Todes, binde ihm
eine Gunstbezeigung um den Kopf!
    »Wo ist
Bheki?« sagte er.
    Ich forschte in seinem
Gesicht. Hatte er nicht verstanden, was ich ihm gesagt hatte? Hatte er es
vergessen? »Setz dich«, sagte ich.
    Er setzte
sich.
    Ich lehnte mich über den
Tisch. »Bheki ist im Boden«, sagte ich. »Er ist in einer Kiste in einem Loch,
und Erde ist auf ihn gehäuft. Er wird dieses Loch nie mehr verlassen. Nie, nie
mehr. Begreife: das ist kein Spiel wie Fußball, wo du, wenn du fällst, wieder
aufstehst und weiterspielst. Die Männer, gegen die du spielst, sagen nicht
zueinander: ›Der da ist noch ein Kind, schießen wir mit Kindermunition auf ihn,
mit Spielmunition.‹ Sie denken überhaupt nicht, daß du ein Kind bist. Sie
denken, daß du der Feind bist, und sie hassen dich ganz genauso, wie du sie
haßt. Sie werden keine Gewissensbisse haben, wenn sie dich erschießen: im
Gegenteil, sie werden sich freuen und lächeln, wenn du fällst, und eine weitere
Kerbe in ihre Gewehrkolben schneiden.«
    Er starrte mich an, als
würde ich ihn ins Gesicht schlagen, Schlag um Schlag. Aber, die Zähne
zusammengebissen, die Lippen zusammengepreßt, weigerte er sich zurückzuweichen.
Über seinen Augen dieser rauchige Film.
    »Du denkst,
sie haben keine Disziplin«, sagte ich. »Du irrst dich. Sie haben eine sehr gute
Disziplin. Was sie davon abhält, jedes männliche Kind auszurotten, jeden
letzten von euch, ist nicht Mitleid oder ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Es
ist Disziplin, nichts anderes: Befehle von oben, die sich jeden Tag ändern
können. Mitleid ist aus dem Fenster geflogen. Dies ist Krieg. Hör auf das, was
ich sage! Ich weiß, wovon ich rede. Du denkst, ich versuche, dich von dem Kampf
wegzulocken. Nun, das ist wahr. Genau das tue ich. Ich sage: Warte, du bist zu
jung.«
    Er rutschte unruhig auf dem
Stuhl herum. Gerede, Gerede! Gerede hatte die Generation seiner Großeltern
niedergedrückt und die Generation seiner Eltern. Lügen, Versprechungen,
Schmeicheleien, Drohungen: gebeugt waren sie gegangen unter dem Gewicht all
dieses Geredes. Nicht er. Er warf das Gerede von sich. Tod dem Gerede!
    »Du sagst, es ist Zeit zu
kämpfen«, sagte ich. »Du sagst, es ist Zeit zu gewinnen oder zu verlieren. Laß
mich dir etwas sagen über dieses Gewinnen oder Verlieren. Laß mich dir
etwas über dieses oder sagen. Hör mir zu.
    Du weißt, ich bin krank.
Weißt du, was nicht stimmt bei mir? Ich habe Krebs. Ich habe Krebs von der
Anhäufung der Schande, die ich in meinem Leben erduldet habe. So kommt Krebs
zustande: aus Selbstekel wird der Körper bösartig und fängt an, sich selbst
aufzufressen.
    Du sagst:
›Was für einen Sinn hat es, sich in Schande und Ekel zu verzehren? Ich will mir
die Geschichte, wie Sie sich fühlen, nicht anhören, es ist auch

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