Coetzee, J. M.
wieder nur eine
Geschichte, warum tun Sie nicht was?‹ Und wenn du das sagst, sage ich
›Ja‹. Ich sage ›Ja‹. Ich sage ›Ja‹.
Ich kann nichts erwidern
als ›Ja‹, wenn du mir diese Frage stellst. Aber laß mich dir sagen, wie es ist,
dieses ›Ja‹ zu äußern. Es ist wie wegen seines Lebens vor Gericht stehen, und
es sind einem nur zwei Worte erlaubt, Ja und Nein. Jedesmal, wenn du Luft
holst, um dich zu erklären, wirst du von den Richtern gewarnt: ›Ja oder Nein:
keine Reden.‹ ›Ja‹, sagst du. Doch die ganze Zeit fühlst du andere Worte in dir
sich regen wie Leben im Mutterleib. Nicht wie ein Kind tretend, noch nicht,
sondern wie die ersten Anfänge, wie das tiefinnere Sichregen des Wissens, das
eine Frau hat, die schwanger ist.
Es ist
nicht nur Tod in mir. Da ist auch Leben. Der Tod ist stark, das Leben ist
schwach. Aber verpflichtet bin ich dem Leben. Ich muß es am Leben erhalten. Ich
muß.
Du glaubst nicht an Worte.
Du denkst, nur Schläge sind wirklich, Schläge und Geschosse. Aber hör zu:
kannst du nicht hören, daß die Worte, die ich spreche, wirklich sind? Höre! Sie
mögen nur Luft sein, aber sie kommen aus meinem Herzen, aus meinem Mutterleib.
Sie sind nicht Ja, sie sind nicht Nein. Was in mir lebt, ist etwas anderes, ein
anderes Wort. Und ich kämpfe für es, auf meine Weise, kämpfe, damit es nicht
erstickt werde. Ich bin wie eine von diesen chinesischen Müttern, die wissen,
daß ihnen ihr Kind weggenommen wird, wenn es eine Tochter ist, und beseitigt
wird, denn die Not, die Not der Familie, die Not des Dorfes, erfordert Söhne
mit starken Armen. Sie wissen, daß nach der Geburt jemand ins Zimmer kommen
wird, jemand mit verhülltem Gesicht, und der wird der Hebamme das Kind aus den
Armen nehmen und, wenn das Geschlecht nicht stimmt, ihnen den Rücken kehren,
aus Feingefühl, und es ersticken, einfach so, indem er die kleine Nase zudrückt
und den Kiefer geschlossen hält. Eine Minute, und alles ist getan.
Trauere, wenn du willst,
wird der Mutter danach gesagt: Trauer ist nur natürlich. Aber frage nicht: Was
ist das Ding, genannt ein Sohn? Was ist das Ding, genannt eine Tochter, daß es
sterben muß?
Versteh
mich nicht falsch. Du bist ein Sohn, jemandes Sohn. Ich bin nicht gegen Söhne.
Aber hast du je ein neugeborenes Baby gesehen? Laß mich dir sagen, es würde dir
schwerfallen, den Unterschied zwischen Junge und Mädchen festzustellen. Jedes
Baby hat die gleiche gequollen aussehende Falte zwischen den Beinen. Der
Gießer, die Ranke, das, was angeblich den Jungen kennzeichnet, ist keine große
Sache, wirklich. Sehr wenig, um den Unterschied zwischen Leben und Tod zu
machen. Doch alles andere, alles Unbestimmte, alles was nachgibt, wenn man
darauf drückt, wird ungehört verurteilt. Ich spreche für dieses Ungehörte.
Du bist es
müde, alten Leuten zuzuhören, ich kann es sehen. Es juckt dich, ein Mann zu
sein und Mannesdinge zu tun. Du bist es müde, dich für das Leben
bereitzumachen. Es ist Zeit für das Leben selbst, denkst du. Was für ein
Irrtum! Leben ist nicht, einem Stab zu folgen, einem Pol, einer Fahnenstange,
einem Gewehr, und zu sehen, wohin es dich bringt. Das Leben ist nicht um die
Ecke. Du bist bereits mitten im Leben.«
Das Telefon
klingelte.
»Laß nur,
ich werde nicht abnehmen«, sagte ich.
Schweigend warteten wir auf
das Aufhören des Klingeins.
»Ich weiß
deinen Namen nicht«, sagte ich.
»John.«
John: ein nom de guerre, wenn ich je einen hörte.
»Was hast
du für Pläne?«
Er schien
nicht zu begreifen.
»Was gedenkst du zu tun?
Willst du hierbleiben?«
»Ich muß
nach Hause.«
»Wo bist du
zu Hause?«
Störrisch starrte er mich
an, zu müde, um sich noch eine Lüge auszudenken. »Armes Kind«, flüsterte ich.
Ich wollte
nicht spionieren. Aber ich hatte Hausschuhe an, die Tür zu Florences Zimmer war
offen, sein Rücken mir zugewandt. Er saß auf dem Bett, die Aufmerksamkeit auf
einen Gegenstand gerichtet, den er in der Hand hatte. Als er mich hörte, fuhr
er hoch und stieß ihn unter die Bettdecke.
»Was hast du denn da?«
fragte ich.
»Ach,
nichts«, sagte er und sah mich wieder einmal mit seinem forciert festen Blick
an.
Ich wäre nicht weiter in
ihn gedrungen, hätte ich nicht bemerkt, daß ein Stück Scheuerleiste von der
Wand abgehebelt worden war, das nun auf dem Fußboden lag, so daß unverputztes
Mauerwerk zu sehen war.
»Was hast du vor?« sagte
ich. »Warum nimmst du das Zimmer auseinander?«
Er schwieg.
»Zeig mir, was
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