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Coetzee, J. M.

Coetzee, J. M.

Titel: Coetzee, J. M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eiserne Zeit
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wie Regen.
    »Ich fühl mich viel besser
heute morgen«, sagte ich. »Aber vielleicht könnten wir jetzt zurückgehen. Wenn
ich mich besser fühle, ist es gewöhnlich eine Warnung, daß ich mich schlechter
fühlen werde.«
    Vercueil
setzte sich auf, nahm den Hut ab, kratzte sich mit langen, schwarzen
Fingernägeln den Kopf. Der Hund kam von irgendwoher angetrabt und scharwenzelte
um uns herum. Vercueil faltete den Karton zusammen und versteckte ihn in den
Büschen.
    »Wissen
Sie, daß ich mir eine Brust entfernen ließ?« sagte ich aus heiterem Himmel.
    Verlegen trat er von einem
Fuß auf den anderen.
    »Ich bedaure es jetzt natürlich.
Bedaure, daß ich gezeichnet bin. Es wird wie der Versuch, ein Möbelstück zu
verkaufen, das einen Kratzer hat oder ein Brandmal. Es ist noch immer ein
vollkommen guter Stuhl, sagen Sie, aber die Leute sind nicht interessiert. Die
Leute mögen keine gezeichneten Dinge. Ich spreche von meinem Leben. Es ist
vielleicht nicht vollkommen gut, aber es ist noch immer ein Leben, kein
Halbleben. Ich dachte, ich würde es verkaufen oder hingeben, um meine Ehre zu
retten. Aber wer wird es annehmen in seinem gegenwärtigen Zustand? Es ist wie
der Versuch, eine Drachme auszugeben. Woanders eine vollkommen gute Münze, aber
nicht hier. Verdächtig gezeichnet.
    Aber ich
habe noch nicht ganz aufgegeben. Ich überlege noch immer, was ich anstellen
könnte. Haben Sie einen Vorschlag?«
    Vercueil
setzte seinen Hut auf, zog ihn vorn und hinten fest.
    »Ich würd
Ihnen gern einen neuen Hut kaufen«, sagte ich.
    Er
lächelte. Ich nahm seinen Arm; langsam zockelten wir davon, die Vrede Street
entlang.
    »Lassen Sie
mich Ihnen erzählen, was ich geträumt habe«, sagte ich. »Der Mann in meinem
Traum hatte keinen Hut, aber ich denke, daß Sie es waren. Er hatte langes,
öliges Haar, glatt aus der Stirn zurückgekämmt.« Lang und ölig; auch dreckig,
hinten in häßlichen Rattenschwänzen herabhängend; aber das erwähnte ich nicht.
    »Wir waren
an der See. Er wollte mir das Schwimmen beibringen. Er hielt mich an den Händen
und zog mich hinaus, während ich flach lag und trat. Ich hatte einen
gestrickten Badeanzug an, die Art, wie wir sie früher hatten, marineblau. Ich
war ein Kind. Aber in Träumen sind wir ja immer Kinder.
    Er zog mich hinaus,
rückwärts ins Meer gehend, mit den Augen mich fixierend. Er hatte Augen wie
Sie. Es war kein Seegang, nur hereinkommendes, geriffeltes Wasser, glitzernd
von Licht. Tatsächlich war auch das Wasser ölig. Wo sein Körper die Oberfläche
durchbrach, haftete das Öl an ihm, mit dem fettigen Glanz, den Öl hat. Ich
dachte bei mir: Sardinenöl: ich bin die kleine Sardine: er bringt mich hinaus
in das Öl. Ich wollte sagen Drehn Sie um, wagte aber nicht, den Mund
aufzumachen, aus Angst, das Öl würde hereinfluten und meine Lungen füllen. In
Öl ertrinken: dazu hatte ich nicht den Mut.«
    Ich hielt
inne, um ihn sprechen zu lassen, aber er schwieg. Wir bogen um die Ecke in die
Schoonder Street.
    »Natürlich erzähl ich Ihnen
diesen Traum nicht ohne Hintergedanken«, sagte ich. »Wer einen Traum erzählt,
will damit immer etwas erreichen. Die Frage ist, was?
    Der Tag, an
dem ich Sie zum erstenmal hinter der Garage sah, war der Tag, an dem ich die
schlechte Mitteilung bekam, über meinen Fall. Ein bißchen viel Zufall. Ich
fragte mich, ob Sie nicht, wenn Sie das Wort erlauben, ein Engel seien, der
gekommen war, um mir den Weg zu zeigen. Das waren Sie natürlich nicht, sind es
nicht, können es nicht sein – ich sehe das. Aber das ist nur die halbe
Geschichte, stimmt’s? Halb nehmen wir wahr, aber halb erfinden wir auch.
    Ich habe
mir also weiter Geschichten erzählt, in denen Sie führen und ich folge. Und
wenn Sie kein Wort sagen, dann deswegen, sage ich mir, weil der Engel wortlos
ist. Der Engel geht vor, die Frau folgt. Seine Augen sind offen, er sieht; ihre
sind geschlossen, sie ist noch versunken im Schlaf der Weltlichkeit. Deswegen
wende ich mich an Sie, damit Sie mich führen, mir helfen.«
    Die
Vordertür war abgeschlossen, aber das Hoftor schwang auf. Die Glassplitter
waren nicht aufgekehrt, die Tür zu Florences Zimmer hing schief. Ich schlug die
Augen nieder, trat behutsam auf, war noch nicht bereit, in das Zimmer zu
blicken, nicht stark genug.
    Die Küchentür war
unverschlossen. Sie hatten den Schlüssel nicht gefunden.
    »Kommen Sie rein«, sagte
ich zu Vercueil.
    Das Haus
war und war nicht, wie es gewesen war. Manche Dinge waren nicht an ihrem

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